Egal, was sie tun, sie werden Argwohn ernten

Die türkis-blaue Koalition wird harte Nüsse knacken und dabei mit eisigem Gegenwind rechnen müssen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Die türkis-blaue Koalition wird harte Nüsse knacken und dabei mit eisigem Gegenwind rechnen müssen.

von Dr. Martina Salomon

über die Regierungsbildung.

Mitten in die Koalitionsverhandlungen ist eine Meldung geplatzt, die die nächsten Regierungen noch viel mehr beschäftigen wird, als es derzeit erscheint: Siemens baut Tausende Stellen ab, davon auch 200 in Österreich. Die Energiewende wird demnächst Zehntausende Jobs in Europa kosten, die an fossiler Energie und Verbrennungsmotoren hängen. Noch ist nicht klar, wo die alternativen Arbeitsplätze entstehen werden, ob das Bildungswesen ausreichend darauf eingerichtet ist und welche Antworten die Politik dafür hat.

Die aktuellen innerösterreichischen Aufregungen muten vor diesem Hintergrund ein wenig seltsam an: Das Umweltbundesamt (wo erstaunlicherweise mehr als 500 Mitarbeiter tätig sind) soll von Wien nach Klosterneuburg verlegt werden. Ein Plan, der vom Minister so schlecht kommuniziert wurde, dass es wie ein Angriff auf das rot-grüne Wien wirkt. Die Beamten in Oberösterreich sollen möglicherweise nicht die mit der Beamtengewerkschaft für den öffentlichen Dienst ausverhandelte Gehaltserhöhung bekommen, die Mindestsicherung soll vereinheitlicht werden: schwarz-blauer Sozialraub! Und wer jetzt aller die Vorzüge der Pflichtmitgliedschaft in Kammern entdeckt, seit (ohnehin nicht wirklich) Gefahr droht, sie könnte durch die neue Regierung ausgehebelt werden, ist schon fast rührend.

Freiheitliche Kernthemen

Man kann sich also ausrechnen, was passieren wird, wenn Türkis-Blau (hoffentlich) die nötigen Schritte zur nachhaltigen Sanierung des Staatshaushaltes sowie des Pensionssystems setzt und versucht, die Schul- und die Migrationspolitik zu reformieren. Der Gegenwind wird eisig sein. Wobei es tatsächlich fragwürdig ist, dass einer der Cluster (dessen Ergebnisse am Freitag präsentiert wurde) im Titel das unbehagliche Assoziationen weckende Wort "Heimatschutz" trägt. Schon klar, da geht es um blaue Kernfragen: mehr Polizei, mehr Cyber-Sicherheit, keine weitere illegale Migration. Letzteres hat übrigens auch SPÖ-Chef Kern im Wahlkampf stets betont.

Nur in der Wiener Hofburg blieb das ungehört: Wenn Bundespräsident Van der Bellen anlässlich seines Vatikan-Besuchs meinte, er verstehe die aktuellen Sorgen beim Thema Flüchtlinge nicht, weil die Asylanträge ja deutlich zurückgegangen seien, so sollte der Herr Professor vielleicht doch einen Blick in den neuen Wiener Integrationsbericht werfen: In nur einem Jahrzehnt hat sich Wien durch Zuwanderung massiv verändert. Mittlerweile ist jeder zweite in Wien Lebende selbst im Ausland geboren, hat keine österreichische Staatsbürgerschaft oder zumindest einen Elternteil, der im Ausland geboren wurde. Ist eine Verunsicherung angesichts solch einer rasanten Entwicklung nicht erklärbar?

Bei aller wohl begründeten Skepsis gegenüber einer Regierungsbeteiligung der FPÖ und der Ablehnung einiger ihrer Proponenten ist es jedenfalls klüger, von den potenziellen Regierungspartnern eine vernünftige Politik einzufordern, als schon vorsorglich Kerzen anzuzünden.

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