Übles Theater

wunder WELT: Kreislauf
wunder WELT: Joachim Lottmann über ein grauenhaftes Theaterstück.
Joachim Lottmann

Joachim Lottmann

Das Theater war grauenhaft. In der "Scala", noch vor 50 Jahren Vorzeigebühne der KPÖ, gaben sie wieder einmal Gorkis Sozialdrama-Klassiker "Nachtasyl". Dort geht es um ganz viel "Elend". Natürlich wurde es modernisiert und auf die heutigen Armen bezogen, die TV glotzen und so weiter. Doch dann das große Missverständnis: die Regisseurin verwechselte Armut mit Vulgarität. Zweieinhalb Stunden lang wurde geberserkert, dass der Maria und mir schlecht wurde. Die Schauspieler fluchten, kotzten, bluteten, würgten sich, vergewaltigten im Sterben liegende Frauen, wälzten sich am Boden, versuchten in jeder Sekunde, so ordinär wie möglich zu sein. Das war schwer auszuhalten, zumal ohne Zigarette. Im Theater darf man ja nicht rauchen. Und außerdem kennen wir ja echte Obdachlose. Wir sind im Verein der Ute Bock, die ihr "Nachtasyl", also ihr Heim für Arme und Asylanten, gleich bei uns in der Straße hat. Diese Leute sind das Gegenteil von ordinär. Sie sind unendlich verängstigt, leise, schüchtern, trauen sich nicht einmal zu betteln und sehen einen immer lieb an. In Jahren gab es nur einen Fall von Gewalt, das ist ein besserer Schnitt als im bourgeoisen achten Bezirk. Das Stück war also objektiv eine Frechheit, eine Ohrfeige für die real existierenden Elenden. In der Pause qualmten wir erstmal eine, und flüchteten dann. Wir waren echt aufgebracht. "Das soll nun eine sozial ambitionierte Inszenierung sein!", empörte ich mich und tat einen tiefen Zug. Ich hatte, wie meine Frau, wieder mit dem Rauchen angefangen, nach zehn Jahren. Zu meiner Freude gab es die Marke, die ich früher so gemocht hatte, immer noch: Reyno. Der frische Minzgeruch durchströmte meine sich blähende Brust. Die Kinder finden es übrigens lustig, dass wir nun beide wieder rauchen. Der Große hat es auch schon mal probiert. Ich ermahnte ihn nun, nie in ein schlechtes Theaterstück zu gehen!

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