über LEBEN: Heiligenkult

über LEBEN: Heiligenkult
Guido Tartarotti über die Reliquien unserer Zeit.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Pünktlich zum 70. Geburtstag von John Lennon meldeten die Nachrichten- agenturen, Lennons Klomuschel sei bei einer Auktion um 12.000 Euro versteigert worden. Lennon, der 1980 das Martyrium der Erschießung erlitt, ist heute einer der ganz großen Heiligen. Früher verehrten fromme Menschen ja den Mantel des Heiligen Markus, das Blut des Heiligen Januarius oder die Zehennägel des Heiligen Kevin. Auch Jesu Windel, Milchzähne und Vorhaut galten einmal als Reliquie. (Ob Reliquien echt sind oder nicht, ist ja eine irrelevante Frage - Reliquien werden dadurch echt, dass man an ihre Echtheit glaubt.) Heute, da die christlichen Heiligen in Vergessenheit geraten - es ruft ja auch niemand mehr den heiligen Blasius an, wenn er Halsweh hat, sondern den HNO-Arzt - geht die Reliquienverehrung auf die Heiligen unserer Zeit über. Auf die Popstars. Wir verehren Haarlocken von Elvis, Zigarettenstummel von Janis Joplin oder das Deutschhausübungsheft, in welches der kleine Hansi Hölzel frühe Entwürfe zu "Der Kommissar" kritzelte. Jetzt also Lennons Klo.

Wir wissen, er be-saß es zwischen 1969 und 1972. Es ist also durchaus nicht unmöglich, dass ihm genau auf diesem Leibstuhl die Inspiration zu "Imagine" kam. Der neue Eigentümer der kostbaren Schüssel blieb anonym, wir können also nur spekulieren, was er damit vorhat. Wird er sie in einem Schweizer Safe lagern, als Wertanlage? Wird er sie einem Museum stiften? Oder wird er sie in seinem eigenen Badezimmer montieren lassen, um dann am selben Platz Platz zu nehmen, wo schon Lennon sich erleichterte, auf dass dadurch etwas vom Genie des Beatle auf ihn übergehe? Wie auch immer. Wäre ich berühmt, ich würde nach der Meldung von Lennons Kloversteigerung nie wieder so fröhlich den Abort betreten wie zuvor. Ich müsste immer an meine Sterblichkeit denken, und an meinen Ruf in der Nachwelt.

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