Marcel Koller hat mich überrascht

Paul Scharner
Paul Scharner

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Offensichtlich hab’ ich gleich zwei wunde Punkte erwischt.

von Paul Scharner

über ein viel diskutiertes Interview

Mit so einem großen Aufruhr nach meinem viel diskutierten Interview habe ich wirklich nicht gerechnet. Dass Marcel Koller öffentlich die Fassung verliert, ist für mich noch überraschender. Ich hätte mir mehr Souveränität des Teamchefs erwartet. Eine passende Reaktion Kollers auf meine Kritik wäre gewesen: "Wer? Paul Scharner? Kenne ich nicht."

Damit wäre das Thema erledigt gewesen. Doch offensichtlich hab’ ich gleich zwei wunde Punkte erwischt. Erstens: die von mir in Frage gestellte Qualität des Trainers für Endrunden und der dort nötigen Flexibilität. Zweitens: meine erwähnte Weigerung von David Alaba, im Finish gegen Irland linker Außenverteidiger zu spielen. Übrigens: Falls jemand weiß, wie es aussieht, wenn ein Spieler eine Position nicht ausfüllen will, dann ich. Joachim Löw kann das bestätigen.

Ich möchte festhalten, dass ich David Alaba durchaus verstehen kann. Das gerne betonte "In den Dienst der Mannschaft stellen" hat auch seine Grenzen. Wenn ein Spieler massive Probleme und wohl begründete Zweifel hat, eine Position zu spielen, soll er das auch dem Trainer mitteilen. Kevin Wimmer würde jetzt in einer ganz anderen Position sein, wenn er Koller rechtzeitig gesagt hätte: "Nein, Trainer! Tut mir leid, aber mich als linken Außenverteidiger aufzustellen, ist keine gute Idee. Da kann ich meine Stärken nicht abrufen und der Mannschaft nicht helfen."

Koller macht diesen Schritt den Spielern besonders schwer. Er hat persönliche Abhängigkeiten aufgebaut. Nach dem Motto "Ich bin anfangs zu dir gestanden, jetzt musst du für immer spuren." Davon halte ich wenig. Als Führungspersönlichkeit solltest du immer flexibel bleiben. Nur einen Plan A zu haben (und vor Koller fehlte ja sogar dieser des öfteren), ist auf Dauer zu wenig.

Genauso wenig bringt es, seinen Stil ohne Rücksicht auf Verluste durchzuboxen. Diesen Eindruck erweckt Damir Canadi bei Rapid auf mich. Die Spieler waren jahrelang Barisic mit seinem Laissez-faire-Stil und der "Meine Buam"-Mentalität gewöhnt. Mit der "deutschen Gründlichkeit" unter Büskens gab es danach schon Probleme. Und dann kommt Canadi, der zwischenmenschlich den Gegenpol zu Barisic einnimmt. Das kann ohne beidseitiges Entgegenkommen nicht gut gehen.

Vorbild Stöger

Ich bin überzeugt, dass sich auf Dauer erfolgreiche Trainer vorrangig an den Menschen und nicht an dem Spieler orientieren. Das Paradebeispiel ist Peter Stöger, der die Spieler im persönlichen Austausch dort abholt, wo sie gerade stehen. Sein Assistent Manfred Schmid übernimmt parallel die Aufgaben eines klassischen Trainers.

Ich bin bei Trainern zwar oft angeeckt, hatte aber mit Christoph Daum, Mons Ivar Mjelde und Steve Bruce wenig bis keine Probleme. Was dieses Trio verbindet? Sie wussten, dass ein Trainer nicht alles wissen kann. Sie haben die Verantwortung getragen, den Spielern aber auch Kompetenzen und Eigenverantwortung zugestanden. Diese natürliche Autorität zeichnet gute Trainer aus.

paul.scharner@kurier.at

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