Wie ehrlich dürfen Politiker sein?

Daniela Kittner
Daniela Kittner über die österreichische Finanzministerin und ihre Außenwirkung.

In welcher Welt leben wir, wenn die unbedachte Äußerung einer – mit Verlaub – nicht sehr bedeutenden Finanzministerin eines kleinen Landes das Poten­zial hat, eine Volkswirtschaft wie Italien in Schwierigkeiten zu bringen? Maria Fekter hatte letzten Montag im Fernsehen vor sich hin geplaudert, dass Italien angesichts der hohen Zinsen für seine Staatsschulden den Rettungsschirm brauchen könnte.

Danach war der Teufel los. Italiens Regierungschef Mario Monti bekam einen Wutausbruch, der Schweizer Tagesanzeiger verglich Fekter mit einer "humorigen Karnevalsfigur", EU-Kommissar Gio Hahn mahnte seine Parteikollegin via SN: "In Zeiten wie diesen müssen wir jedes Wort auf die Waagschale legen – und zwar auf die Apothekerwaage." Dürfen Politiker nicht mehr ehrlich sein? Und was heißt "Zeiten wie diese"?

Es sind die Zeiten der neuen Informationstechnologien. "Ohne sie gäbe es die Finanzkrise in dieser Form nicht", sagt Michael Ikrath , ÖVP-Abgeordneter und Banker. "In Sekundenschnelle werden Milliarden über den Globus geschickt. Und genau so schnell verbreiten sich die Informationen. Die Börsenbroker und Investmentbanker sitzen an Schirmen, wo drunter ständig eine Leiste mit den neuesten Informationen der Agenturen Bloomberg und Reuters läuft. Je nach Information heißt es dann: kaufen! oder verkaufen! Und zwar auf Verdacht. Wenn es Verkaufen heißt, versucht jeder, schneller als der andere zu sein, damit er nicht auf seinen Anleihen sitzen bleibt. Das erhöht die Geschwindigkeit beim Handel dann noch einmal", schildert Ikrath den Alltag auf den Finanzmärkten. "Es geht so weit, dass sich Brokerhäuser in örtlicher Nähe von Info-Servern ansiedeln, um das Glasfaserkabel möglichst kurz zu halten, damit man um einige Zehntelsekunden schneller ist als die Konkurrenz. Es ist absurd", erzählt eine Investmentbankerin eines bedeutenden heimischen Geldhauses.

"Das globale Spiel mit Milliarden ist mit dem globalen Spiel mit Informationen gekoppelt. So kann aus einer Fliege leicht ein Elefant werden", meint Ikrath.

Wenn dann jemand, von dem die Finanzmarkt-Akteure annehmen, dass er über Insiderwissen verfügt, sagt, Italien könne einen Rettungsschirm brauchen, heißt es: verkaufen! Und das treibt die Zinsen für Italien in die Höhe. Zum Schaden der italienischen Steuerzahler.

Der Investmentbanker Willi Hemetsberger bestätigt diesen Mechanismus: "Hätte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble , von dem man annimmt, dass er nicht nur so vor sich hin plaudert, gesagt, Italien könnte den Rettungsschirm brauchen, hätte das etwas ausgelöst. Dann hätten die Händler gedacht: Aha, der weiß was, was wir nicht wissen, und will uns etwas mitteilen." Im Grunde, meint Hemetsberger, seien die Händler von Tokio bis zur Wall Street jedoch über die Grunddaten jedes Landes gut informiert und würden dazu keine Politiker brauchen. "Dass Italien on the edge ist, wissen wir auch so."

Ikrath sieht das Verhalten der Märkte kritischer. Sehr viele Geschäfte würden "auf Verdacht" getätigt, wodurch sich auch die Frage nach Wahrheit und Ehrlichkeit relativiert. Wenn eine Politiker-Aussage Zinssätze verändern kann, dann schafft sie eine "Wahrheit", die es vorher so nicht gegeben hat.

Ikrath rät der Politik, im Sinne von Max Weber zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu unterscheiden. "Das ist wie beim Arzt. Der Gesinnungsethiker wird einem Patienten ins Gesicht sagen: Sie haben nur mehr ein halbes Jahr zu leben. Der Verantwortungsethiker wird bei dem, was und wie er es sagt, auf den psychischen Zustand des Patienten Rücksicht nehmen." Wenn der Schaden aufgrund der Wirkung einer Aussage nicht zu verantworten sei, "soll ein Politiker zwar nicht lügen, sondern einfach nichts sagen".

Ähnlich sieht es der grüne Wirtschaftsprofessor Alexander Van der Bellen . Normalerweise tobt die Opposition, wenn Minister Antworten verweigern. Am Mittwoch im Nationalrat lobte er Fekter, weil sie sich weigerte, auf blaues Befragen hin über einen weiteren Zahlungsausfall Griechenlands zu spekulieren.

Der Schock vom Montag saß. Fekter ist angekommen – in Zeiten wie diesen.

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