Unsere Zug-Nummer

Unsere Zug-Nummer
Der Krampf mit den Fahrkarten und die große Erlösung.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Das Erlöser-Syndrom ist heimtückisch.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

SIE

Unlängst fiel mir ein altes Deutschheft in die Hände – mit Mitschriften zum Thema „Absurdes Theater“. Folgendes hatte ich notiert: „Die Dialoge sind in absurder Logik abgefasst. Das Stück vermittelt groteske Situationen und Nichtverstehen.“ Darunter ein Zitat von Ionesco: „Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht.“ Hübscher Häuslspruch, dachte ich. Und adaptierte ihn neu: „Wer sich an das Absurde gewöhnt, findet sich in unserer Ehe gut zurecht.“

One-Way-Ticket

Womit wir bei Wels wären. Dort waren wir unlängst zu einer Matinee im Museum „Lebensspuren“ geladen – sonntags um 11 Uhr. Bei uns daheim ging die Sause schon Tage zuvor los – mit einer Diskussion zum Thema „Mitm Auto oder mitm Zug?“ Ich liebe Bahnfahren, der Mann nebenan weniger. Er reißt das Steuer gerne an sich. Dennoch nötigte ich ihn, eine passende Verbindung herauszufinden. Willkommen im Stück „En attendant Hufnagl“. Erst geschah nichts, später nichts, dann Groteskes – als er sprach: „Hm, es gibt einen Zug nach Wels, um 7.43. Aber zurück geht keiner! Komisch.“ Ich antwortete mit einer Nuance Sarkasmus: „Nun, die Wien– Wels-Reisenden sind ja weltbekannt für ihren Hang, alles für immer hinter sich zu lassen.“ Um hinzuzufügen: „Bei dir ist hirntechnisch eh alles auf Schiene, oder?“

Innerhalb von fünf Sekunden fand ich dann heraus, dass man im Stundentakt von Wels nach Wien reisen kann. Da tat der Mann, was er in so einem Fall immer tut. Er schwört: „Ich schwööööre, das hat nicht funktioniert, wie ich auf der Website war.“ Und ich tat, was ich in so einem Fall immer mache: Ich verdrehte die Augen. Und rezitierte innerlich Samuel Beckett: „Wir werden alle wahnsinnig geboren. Manche bleiben es.“

Twitter: @gabriele.kuhn Facebook: facebook.com/GabrieleKuhn60

ER

Um zu verdeutlichen, wie so manche Texte zu meiner Linken entstehen, bedarf es einer Erklärung: Meine Frau hat das Erlöser-Syndrom. Und sie hat diese Kolumne, um die Leserschaft subtil davon in Kenntnis zu setzen. Konkret: Sie besitzt eine unbewusste Sehnsucht nach Unzulänglichkeiten und Versäumnissen anderer Menschen. Die braucht sie wie der Vampir das Blut, um eine Atmosphäre zu schaffen, die offenbart: Danke. Wie gut, dass wir die Gaby haben. Beim Erlöser-Syndrom handelt es sich um ein weit verbreitetes Phänomen. Häufige Symptome sind Sätze wie „Lass’ mich einmal schauen“, „Lass’ mich einmal da her“ oder auch nur „Geh’ weg, lass’ mich!“

Theatralik

Wer unter dem heimtückischen Erlöser-Syndrom leidet, tut in der Regel Folgendes: 1. Viele Begehrlichkeiten bezüglich dringender Erledigungen äußern. 2. Warten (obwohl es aufgrund innerer Unruhe schwerfällt). 3. Nachfragen, wie weit der Gecheckt-Prozess gediehen ist. 4. Hoffen, dass sich in den Antworten Mängel ergeben. 5. Wenn unerfreulicherweise alles in geordneten Bahnen verläuft, schnell neue Aufgaben ausdenken. 6. Wenn endlich das befreiende „Ui, vergessen“, „Das geht nicht“ oder „Ja, ja, das hab’ ich mir eh schon geistig notiert“ ertönt, sofort zuschlagen. 7. Theatralik (Kopfschütteln, Augenrollen, süffisantes Lächeln) an den Tag legen. 8. Bilder der Kompetenz erschaffen (was bei ihm in 2 Stunden nicht funktioniert, klappt bei mir in 2 Minuten). 9. Weltrettermimik möglichst lang (= mindestens eine Zugfahrt) konservieren. 10. Sich das alles selbst glauben.

Unser Buch „Du machst mich wahnsinnig“ (Amalthea) ist nun offiziell im Buchhandel erhältlich. Die neuesten Termine für die Paaradox-Abende auf der Bühne des Wiener Rabenhof sind der 17. und der 28. Mai (20 Uhr).

michael.hufnagl Twitter: @MHufnagl, www.michael-hufnagl.com

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