Tatort Terrasse
"Schlecht für dein Karma“, sagt das neunmalkluge Weibchen an meiner Seite.
Sie
Aus der Reihe Sommerfrische: die Gelsen. Weltweit gibt es 3500 Stechmückenarten, der Mann nebenan ist davon überzeugt, dass er mit jeder Unterart davon schon Körperkontakt hatte. Er fühlt sich verfolgt, als Ed Snowden des Stechmückenuniversums. Sein Stehsatz: „Dich stechen sie nie, mich schon.“ Falsch. Auch ich werde gestochen, der Unterschied: Ich mache daraus kein Drama in drei Akten. Von Hildegard Knef stammt der Satz: „Brüllen Frauen, sind sie hysterisch. Brüllen Männer, sind sie dynamisch.“ Dazu nur so viel: Wenn das Wort „Gelseninvasion“ medial zirkuliert, mutiert Hufnagl zum Terminator. Es werden Sprays gezückt, Duftkerzen entzündet, Räucherspiralen angeheizt und die Haut mit allerlei Mitteln behandelt. Am liebsten aber würde er in einem Land ohne Stechmücken um Asyl ansuchen.
Kifferhütte
Beeindruckt von dem ganzen Trara bin nur ich, weil die Terrasse aufgrund der pikanten Duftmischung so stinkt wie eine Kifferhütte in den späten 60er-Jahren. Die Gelsen schwirren lustig weiter, der Mann schlägt um sich. Nicht nur. In seiner Hand hält er ein Ding, mit dem er jeden Stich verbissen behandelt. Darüber kommt Spucke, dann Creme. Was einen lauen Sommerabend total zerstückelt – man kann keinen Satz zu Ende reden, ohne dass der Gelsenstich-Elektroschocker piepst und er mit paranoidem Blick seinen Körper nach neuen Stichen scannt. Dazu streut er Wissen ein: Weißt du, dass Gelsen dank ihrer geringen Masse Kollisionen mit Regentropfen überstehen? Dabei verkraften sie g-Werte zwischen 100 und 300? Scheißviecher. Wirklich leid tat er mir nur bei unserer Hochzeitsreise im Jahr 2005. An einem lauen Abend mitten im ligurischen Olivenhain überfielen ihn die Kriebelmücken. Er hatte gezählte 120 Stiche. Ich keinen. Sagen Sie jetzt nichts. Es gab dazu schon genug schlechte Witze.
Er
Es sind übrigens die Gelsen-Weibchen, die gierig stechen. Und ich habe keine Skrupel zu ergänzen: Eh klar. Während die Männchen fröhlich vor sich hin fliegen, Wasser und Pflanzensäfte zu sich nehmen und gelegentlichen Befruchtungsritualen frönen, benötigen die Damen nach dem Sex dringend ein Blutmahl.
Ich habe dafür absolut kein Verständnis. Und ich gebe zu, dass mich schon allein der surrende Ton, der die bösen Überfälle begleitet, zum Terrassen-Rambo macht. Zumal es tatsächlich so ist, dass es zur Erforschung von Geschwader-Attacken kein besseres Objekt als mich gäbe. Es bleibt nur ungeklärt, warum das so ist. An der orange-gelben Kleidung kann es wohl eher nicht liegen, die besitze ich nicht einmal. Und eine Schwitzfigur bin ich erst recht nicht. Es müssen also meine Pheromone sein. Denn laut Wissenschaft ist eine hohe Produktion des Sexuallockstoffs auch für Gelsen sehr anziehend (sagenhaft, für welche Ideen sich die Natur im Laufe der Evolution nicht zu blöd war).
Ritterrüstung
Daher würde ich am liebsten unseren ganzen Bezirk in ein Moskito-Netz hüllen. Oder mir zumindest bei einem Ritterrüstung-Versand ein Luxusmodell bestellen, um entspannt geharnischt mein Achterl zu trinken. Denn was meine Frau gnadenhalber als Ach-ja-da-war-doch-einmal-was-Pointe anfügt, war in Wahrheit der blanke Horror. Als ich frisch verheiratet und ebenso frisch zerstochen von oben bis unten eingeschmiert bewegungslos im Schatten lag und immer nur zwei Sätze hörte: „Juckt es sehr?“ und „Nicht kratzen!“
Da darf man schon einmal ein bisserl hysterisch werden und jede erfolgreiche Jagd mit „Stirb’, Elende!“ kommentieren „Das ist schlecht für dein Karma“, sagt dann das neunmalkluge Weibchen an meiner Seite. Dabei ist ganz sicher das Gegenteil der Fall. Davon bin ich gelsenfest überzeugt.
Twitter: @MHufnagl
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