Eine Art Bauchgefühl

Romantisch. Oder?
Die Nacht, als ein guter Appetit mit einer Fahrt ins Spital endete.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Faktum ist: Ich bin der Prototyp eines dankbaren Essers.

von Gabriele Kuhn

über Appetit

Sie

Also spricht der sogenannte Volksmund: „Willst du einen Tag lang glücklich sein, nimm ein Bad; eine Woche, so lass dich zur Ader lassen; einen Monat, dann schlachte eine Sau. Soll’s jedoch ein Jahr sein, so nimm eine Frau.“ Einverstanden! Vor allem mit dem letzten Satz. (Nur so: Dem Mann nebenan hätte nichts Besseres passieren können als der 16. 12. 1960. Das ist der Tag meiner Geburt). Er hingegen präferiert eher das mit der Sau und dem Schlachten. Zur Erklärung: Wäre der Mann nebenan nicht der Mann nebenan, dann wäre er eine Spitzmaus, genauer gesagt, eine Rotzahnspitzmaus – von Fachleuten Sorex genannt. Das hat nichts mit der Art und Weise der Fortpflanzung zu tun, sondern mit der wirklich außergewöhnlich hohen Stoffwechselrate der kleinen Säugetiere. Die macht sie zu gierigen Nonstop-Fressern. Rotzahnspitzmäuse brauchen täglich Essen in der Größenordnung ihres eigenen Körpergewichts, sie müssen 22 Stunden pro Tag schnabulieren, sonst sterben sie an Nahrungsmangel.

Diagnose: Überfressen

Der Mann nebenan isst nicht 22 Stunden täglich, aber oft mit einer Portion so viel, wie andere an einem Tag. Womit wir erneut bei seinem Glück, mich zu haben, wären. Vor einiger Zeit versorgte er seinen Stoffwechsel mit sehr viel Schweinsbraten. Nachts entdeckte ich, wie er gekrümmt am Bettrand saß und wimmerte. Ich tat, was eine Frau tun muss, packte ihn ins Auto und raste in die Notaufnahme des AKH. Beherzt fuhr ich, obwohl verboten, mit dem Kleinwagen die Notarztwagen-Rampe hinauf und stürzte in die Ambulanz, um ihm das Leben zu retten. Die Diagnose des Mediziners fiel einen Hauch weniger dramatisch aus: „Tja, überfressen haben Sie sich!“ Mehr blutige Details zu der gemeinsamen Nacht mit Spitzmaus im Emergency Room – nächste Woche.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Bei Lesungen erzähle ich den Zuhörern und v. a. den Zuhörerinnen gerne, dass meine Frau als Erzählerin einen leichten Hang zur effektiven Übertreibung hat. Und dass es daher regelmäßig mir zufällt, die ehelichen Ereignisse ins rechte Licht zu rücken. Die links beschriebene Rotzahnspitzmaus ist der beste Beweis dafür. Nicht einmal ein bisserl Appetit darf man haben, ohne gleich als Fresssack verunglimpft zu werden. Was daran liegt, dass sich meine Frau in der Tierwelt viel eher dem in aller Gemütlichkeit Pflanzen verschlingenden Camelus ferus (auch Trampeltier genannt) und dessen faszinierend ökonomischem Fettspeicher seelenverwandt fühlt.

Faktum ist: Ich bin der Prototyp eines dankbaren Essers. Dennoch würden mir Männer in Bezug auf die Menge kaum je Verhaltensauffälligkeit attestieren. Das tun nur jene, die grundsätzlich ein einzelnes Erdapferl als Überbleibsel einer ohnehin kleinen Portion auf dem Teller liegen lassen und Ich kann nicht mehr! stöhnen. Oder immer und überall Mir bitte nur ein ganz kleines Stück! rufen – also Frauen.

Frau Doktor

Bei Männern hingegen kann es schon zwei bis drei Mal in einem Leben vorkommen, dass sie auf die letzten paar Bissen besser verzichtet hätten. Aber, Gier hin oder her, jetzt zur Wahrheit: Das bisserl Bauchdrücken hätte ich an besagtem Abend locker und heldenhaft überstanden, wäre Frau Dr. Kuhn in Ermangelung passender Medikamente nicht so schlau gewesen, mir einen Rat zu geben. Dass sie mir nämlich, angezipft von meiner Jammerei, einen Thermophor zur Linderung empfahl, verschweigt sie mit Vorliebe. Eine – wie mir die Experten später zuraunten –wenig gelungene Erstversorgung. Denn die Wärme machte alles nur noch schlimmer. So wimmerte ich bald: „Spital! Jetzt! Bitte!“

Und als wir losfuhren, kam die Angst. Vor der Schonkost.

Twitter: @MHufnagl

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