Die Hölle der anderen
Die Zeit des Urlaubs ist Zeit der Dankbarkeit. Auch wenn der Reisebegleiter schnarcht.
Sie
Das Beziehungsleben unter Palmen hat – naturgemäß – vorzügliche Seiten: Es schmeckt nach mehr Salz und Meersalz, und das ist schön. Die Sonne scheint, der Wein mundet, es gibt recht viel Fleisch am Pool und Buffet. All das macht den Mann nebenan so satt und zufrieden, dass sein Fluch-EKG auf Nulllinie oszilliert. Einzig, als er zwei, drei Sandkörner im Dialog mit Sonnenöl an seinem linken Handrücken entdeckt, liegt akute Unruhe in der Luft und mündet in meiner Frage an ihn, ob getrennte Urlaube in Hinkunft eine Option wären: ich im Badeanzug am Atlantik, er im Nylonsackerl auf der Isolierstation.
Die zentrale Frage
Sonst aber Azorenhoch im Herzen. Also labe ich mich an der Hölle anderer Paare, damit’s nicht fad wird. Vorgestern etwa wurde das Familienappartement über uns mit blassen Menschen neu befüllt: Eine erschöpfte Frau, ein gereizter Mann, zwei hyperaktive Kinder. Und seit 48 Stunden die unüberhörbare Frage: Wer hat mein Aufladegerät? Das kommt mir bekannt vor. Früher drehte sich in den Ferien alles um die Frage nach dem besten Fischlokal, der ruhigsten Bucht und wer die Luftmatratze aufblasen kann. Jetzt hängt das Urlaubsglück am Kabel eines Handy-Aufladegeräts. Aber immer noch besser als die Pauschalreise mit einem verhaltensauffälligen Bundesdeutschen, der sichtlich nur deshalb Golf spielt, um in Yves-Saint-Laurent-Ganzkörpermontur am Frühstücksbuffet herumgockeln zu können. Nicht ohne das Ei- und Müsli löffelnde Umfeld wissen zu lassen, dass Fliegenfischen eigentlich seine größere Stärke sei. Auch schön: Die Frau, die ihrem Mann jeden Tag den Rucksack trägt, um nonstop zu keifen, wie satt sie es nicht habe, ihrem Mann permanent den Rucksack zu tragen. Sie sehen: Die Zeit des Urlaubs ist Zeit der Dankbarkeit. Auch wenn der Reisebegleiter schnarcht.
Er
Es ist tatsächlich so, dass ich ein recht entspannter Urlaubsbegleiter bin. Solange ich von niemandem darum gebeten werde, mich gut eingeschmiert ins Meer zu begeben, um mich danach fröhlich am Strand zu wälzen. Allein der Gedanke an die Kombination von Creme, Salzwasser, Sand und Sonne auf meinem Körper verursacht in mir jenen unangenehmen Schauer, wie es sonst nur Applaus in Charter-Flugzeugen zu tun vermag.
Aber auch meine Frau ist artig, lässt im sommerlichen Domizil wenig Raum für ehemännliche Beanstandung. Nur der Hang zur Ordnung und Reinlichkeit („Kannst du die Handtücher aufhängen“, „Nicht mit den sandigen Füßen durchs Zimmer latschen!“) ist auch in der Ferne ausgeprägt.
Nüscht
Dennoch genießen wir die Harmonie und delektieren uns gemeinsam am urlaubstypischen Verhalten anderer.
Etwa daran, dass schon im Flieger alle Menschen in der Sekunde des Stillstands wie wahnsinnig aufspringen und ihr Handgepäck an sich reißen, um dann minutenlang (mitunter gebückt) herumzustehen, ehe sich die Tür öffnet.
Daran, dass eine Zeitangabe wie „ab 19.30 Uhr“ garantiert dazu führt, dass sich sämtliche anwesenden Gäste exakt „um 19.30“ zum Buffet stürzen, als hätten sie im Reisebüro „der erste Fisch gehört immer mir“ gebucht.
Daran, dass es traditionell ein lustiges Ranglistenspiel ist, wer uns am meisten nervt – der Russe, der schon beim Frühstück brüllt, als hätte er die Anlage gerade gekauft; der Franzose, der für sich und seine Freundin täglich fünf Liegen okkupiert; oder doch die Deutsche, die 27-mal am Tag zu den Kindern Sven und Meike statt „nicht“ und „irgend“ lieber „nüscht“ und „ürgend“ sagt.
Dann lieber als Schnitzel am Strand liegen. Oder es gut finden, wenn man ürgendwann wieder heimreist.
Twitter: @MHufnagl
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