Verharmlosungskultur

Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Welches Mittel ist geeigneter, drei wilde Hunde zu domestizieren – Geld oder Liebe?

von Guido Tartarotti

über „Lumpazivagabundus“

In Johann Nestroys „Lumpazivagabundus“ erlauben sich höhere Mächte mit Handwerksburschen eine Art Tierversuch: Welches Mittel ist geeigneter, drei wilde Hunde zu domestizieren – Geld oder Liebe? Einer der drei, der Schuster Knieriem, ist für die Versuchsanordnung nicht geeignet. Denn ihn interessiert weder das eine, noch das andere, sondern nur der nächste Schluck.

In der jüngsten Inszenierung bei den Salzburger Festspielen spielt Nicholas Ofczarek diese überaus beliebte Figur der österreichischen Theatertradition nicht, wie eigentlich gesetzlich vorgeschrieben, als „fröhlichen, gemütlichen Zecher“, als „trinkfesten Hallodri“, als „lebenslustigen Weinseligen, der gerne einmal einen über den Durst trinkt“ (und was unser Sprachgebrauch noch so alles an Verniedlichungen anbietet). Sondern als schwer kranken Alkoholiker im Endstadium, der nach Schnaps brüllt wie ein Tier. Das ist, wie viele Betroffene und deren Angehörige wissen, ein realistisches Bild, das in unserer Verharmlosungskultur meist sehr virtuos verdrängt wird.

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