Kein Bock auf Neuwahlen

Juristisch ist der Weg, den der „Akt Sebastian Kurz“ nehmen wird, klar. Derzeit wird der Kanzler von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigter geführt. Der nächste Schritt ist die Frage, ob er wegen des Vorwurfs der Falschaussage vor dem U-Ausschuss angeklagt oder ob alles eingestellt wird. Zuletzt ist ein Richter am Wort, falls es zum Prozess kommt.
Politisch hingegen führt dieser Weg in eine ungewisse, gar unsichere Zukunft. Dass wegen einer Anzeige der Opposition jetzt gegen den Bundeskanzler ermittelt wird, hat bei der ÖVP bundesweit den Schalter umgelegt.
Über die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel hatten sich die Türkisen in den Bundesländern zwar auch geärgert, sind aber sofort zur Tagesordnung übergegangen. Jetzt, da es um den Kanzler geht, ist das anders. Noch am Donnerstag wurde eine offizielle Solidaritätserklärung der sechs ÖVP-Landeshauptleute veröffentlicht, in der sie sich geschlossen hinter ihren Bundesparteiobmann stellen. Der politische Gegenangriff von Sebastian Kurz, den er in seinem ZIB2-Interview am Mittwoch erstmals öffentlich platziert hat, wird damit zu einer gemeinsamen Sache. Der Konflikt, der bisher nur im Ibiza-U-Ausschuss seine Bühne hatte, wird zum Staatstheater.
Es ist ein wenig heuchlerisch, wenn jetzt von allen Seiten staatsmännisches Verhalten eingefordert wird. Dafür ist schon zu stark an der Eskalationsschraube gedreht worden. Atmosphärisch erinnert die parteipolitische Diskussion von Tag zu Tag mehr an einen Wahlkampf. Manche Parteistrategen der Opposition mögen es auch gezielt auf Neuwahlen ausgelegt haben. Und vielleicht träumen selbst bei den Türkisen oder den Grünen einige von einem Befreiungsschlag durch den Wähler.
Aber Neuwahlen auf Bundesebene wären das Schlimmste, was passieren könnte. In einer Phase, in der nach der langen Zeit der Lockdowns endlich wieder aufgeatmet werden darf, muss alles unternommen werden, um die Wirtschaft, um das Leben der Menschen wieder in Schwung zu bringen. Das sind die Sorgen und Wünsche, die momentan bewegen. In einer existenziell so schwierigen Phase muss es auch möglich sein, dass Parteipolitik ein wenig in den Hintergrund tritt.
Gleichzeitig ist die Justiz gefordert, den Sachverhalt rund um die „Akte Sebastian Kurz“ so schnell als möglich aufzuklären. Gregor Krakow von Transparency International nannte das im KURIER ein „berechtigtes öffentliches Interesse“. Die Ermittlungen in die Länge zu ziehen und vielleicht zu warten, ob irgendwann in den Chats von ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid noch eine verfängliche Nachricht auftaucht, ist keine Option. Immerhin geht es in dieser Frage um einen der höchsten Amtsträger der Republik.
Martin Gebhart Profilbild
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