Streit und Nähe

Ich dachte, dass Streit ein Zeichen dafür war, dass eine Beziehung nicht funktionierte.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Ich dachte, dass Streit ein Zeichen dafür war, dass eine Beziehung nicht funktionierte.

von Barbara Kaufmann

über ihren Taufpaten.

Mein Taufpate war ein äußert liebenswürdiger und ein bisschen verschrobener Mensch. Einige seiner Angewohnheiten, seiner Formulierungen und Gesten schienen seltsam aus der Zeit gefallen zu sein. Liebenswerte Marotten, die ich sehr mochte. Er war schon sehr alt, als er in mein Leben trat und leider ist er auch viel zu früh daraus verschwunden.

Jedes Mal, wenn ich ihn besuchte, musste ich ein bestimmtes Ritual befolgen. Nachdem wir uns begrüßt hatten, weigerte er sich standhaft, ein Gespräch zu beginnen bevor ich nicht Mantel und Schuhe abgelegt hatte. Erst nachdem ich es mir auf dem breiten Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht hatte, erst wenn er mir ein Getränk gebracht hatte, erst wenn alles auf seinem Platz war, das Licht gedimmt, setzte er sich auf seinen Lieblingssessel, sah mich auffordernd an und sagte mit seiner dröhnenden Bassstimme: „So, jetzt können wir uns unterhalten.“ Das taten wir dann auch. Oft bis spät in die Nacht.

Er war ein sehr aufmerksamer Gesprächspartner, der keinen Unterschied machte zwischen Kindern und Erwachsenen, wenn es ums Zuhören ging, darum, den anderen ernst zu nehmen, ihm Raum zu geben, ihm zuzustimmen oder zu widersprechen. Er verachtete Telefonate und hielt sie immer sehr kurz. „Komm vorbei, wenn du mir etwas erzählen willst“, sagte er, wenn man sich über seine schon an Unhöflichkeit grenzende Einsilbigkeit beschwerte.

Keine Nähe am Telefon

Selbst als er schon im Krankenhaus lag, nahm er nur ungern den Hörer ab. Denn ein Gespräch mit einem anderen Menschen war eine ernste Angelegenheit für ihn, eine Form der Auseinandersetzung, die Nähe schuf und sie auch bedingte. Eine Nähe, die sich am Telefon nicht herstellen ließ.

Als er starb, konnte ich mich jahrelang nicht damit abfinden. Ich sprach nie über ihn, verließ den Raum, wenn es andere taten. Er war meine erste große Liebe gewesen, ein Verlust, den ich lange nicht verkraftete. In meiner Erinnerung war unsere Beziehung sehr harmonisch gewesen, ohne Fehler oder gar Konflikte, ideal. Erst später, viel später erinnerte ich mich plötzlich daran, dass es hie und da durchaus laut geworden war zwischen uns. Dass wir nicht immer einer Meinung gewesen waren, uns gestritten hatten, manchmal auch sehr heftig. Nach seinem Tod war der Gedanke daran unerträglich gewesen und ich hatte ihn verdrängt. Weil ich dachte, dass Streit ein Zeichen dafür war, dass eine Beziehung nicht funktionierte, etwas nicht stimmte, nicht ideal war. Heute weiß ich, dass sie es nur dann ist, wenn sie Streit aushält. Und ich frage mich oft, ob der lustvolle Streit, die ehrliche Auseinandersetzung mit dem anderen, die einander näher bringt, auch wenn man nicht zusammen findet, nicht langsam, aber sicher aus unserem Leben verschwindet.

Susanne Schnabl hat gerade ein Buch darüber geschrieben, das ich nur empfehlen kann. Es trägt den schönen Titel „Wir müssen reden“. Sie plädiert darin für eine neue Streitkultur und ich glaube, dieses Plädoyer kommt keinen Tag zu früh. Wir müssen wieder richtig streiten. Nicht am Telefon, nicht auf Facebook, nicht via Mail, sondern vielleicht in einem Raum, in dem man sich gegenüber sitzt, sich Zeit nimmt, dem anderen in die Augen sieht. Dann können wir uns unterhalten.

eMail: barbara.kaufmann@kurier.at

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