Susanne Schnabl über die Kunst zu streiten

Susanne Schnabl-Wunderlich
Die Streitkultur ist kaputt, findet die ORF-Moderatorin Susanne Schnabl. Sie will diese mit einem neuem Buch reparieren.

KURIER: Frau Schnabl, Sie fordern eine neuen Streitkultur – ist Streit nicht böse?

Susanne Schnabl: Ich dachte zuerst an "Debattenkultur", aber das klingt elitär. Der Diskurs wird ja emotionaler und das ist per se nicht schlecht. Nur "rational streiten", das gibt es halt nicht.

Ist "Streit-Kultur" nicht ein Widerspruch in sich?

Streit ist etwas Konfrontatives. Ich mag das, gerade weil ich in Kärnten aufgewachsen bin und dort in der Haider-Ära die politischen Meinungen aufeinandergeprallt sind. Die Frage ist, wie schaffen wir das besser, eben kultivierter.

Sie sagen, Österreich fehlt die Streitkultur. Wo gibt es sie?

Großbritannien hat eine entwickeltere Streitkultur, wenn man sich politische Interviews und Parlamentsdebatten anschaut. Dort ist die Debattierkultur historisch gewachsen, die Engländer lernen das schon in der Schule in Debattierklubs. Bei uns lernen viele erst bei der Matura, Thesen zu verteidigen. Wenn ich mir in England vor Wahlen Interviews oder Studiodiskussionen anschaue, weiß ich nicht, ob solche harten Fragen bei uns erwünscht wären. Bei uns ist die Wehleidigkeit ausgeprägter. Beim Debattieren müssen sich die Redner mit den Argumenten des anderen auseinandersetzen. Bei uns gehen Politiker in den Duellen gar nicht auf die Argumente ein.

Und das färbt von Politikern auf die Bevölkerung ab.

Ja. Es ist derzeit schwierig, Oppositions- und Regierungspolitiker miteinander ins Studio zu bekommen. Es ist ein Rückschritt, dass wir jetzt wieder darüber diskutieren, ob Widerspruch überhaupt erwünscht ist. Es wird sofort eine Gegnerschaft daraus, in den sozialen Medien folgt der Shitstorm, Dauerempörung und Aufgeregtheit. Eine sachliche Debatte wird immer schwieriger.

Warum?

Derzeit sollten wir grundsätzliche Fragen der Zukunft behandeln, aber wir kommen aufgrund der ständigen Empörung gar nicht dazu. Streit gehört zur Demokratie, Widerspruch ist nichts Schlechtes – wenn etwas Konstruktives herauskommt.

Daher ist mein Plädoyer: Wir müssen reden, indem ich dem anderen zuhöre und mich nicht gleich empöre, wenn jemand eine Idee vertritt. Nicht immer gleich die Moral auspacken, anstatt einmal zu fragen: Wie meinen Sie das?

So wie Sie Frau T. angesprochen haben, von der Sie im Buch erzählen – eine Zuseherin, die Ihnen richtig böse geschrieben hat?

Es war irre schwer, an diese Frau heranzukommen. Aber sie hat sich auf dieses Gespräch eingelassen, ich hab selber nicht gewusst, was mich erwartet. Am Ende ist nicht herausgekommen, dass sie gegen Medien und Flüchtlinge ist, sondern findet, dieses Thema ist immer und überall präsent und sie mit ihren Problemen ist nicht sichtbar. Sie fühlt sich abgehängt. Auf Facebook erntete sie nur so heftigen Widerspruch, dass sie sich in den Safe Space (Raum oder Situation, in dem/in der man vor vermeintlichen Anfeindungen sicher ist, Anm.) zurückzog.

Die viel zitierte Blase. Zerstören also Facebook und Co. die Streitkultur?

Sie zerstören den Diskurs, weil das Destruktive gefördert wird. Studien zeigen, dass eine kleine Gruppe den digitalen Diskurs bestimmt – die Lauten führen das Wort. Ist das der Common Sense (engl. für "gesunder Menschenverstand; häufig auch für "Konsens" verwendet, Anm.)? Was ist mit denen, die leise sind, die zweifeln, die schweigen? Die lauten Unerbittlichen sind nicht die Masse. Ich finde es an sich super, dass uns Facebook, Twitter und Co. ermöglichen, mit anderen Meinungen in Diskurs zu gehen. Der Austausch, diese Weite, diese vielen Perspektiven – aber es fehlt die Qualität in der Debatte.

Wie geht man denn mit jemandem in wertschätzenden Diskurs, der Klimawandel leugnet, Migranten beschimpft oder die Erde zur Scheibe erklärt?

Fakten bleiben Fakten. Dafür braucht es ja den seriösen Journalismus. Wir sind Dienstleister, die eine Diskursbasis liefern.

Aber wir sind doch die "Lügenpresse".

Susanne Schnabl über die Kunst zu streiten
Susanne Schnabl-Wunderlich, Fernsehmoderatorin im ORF und Buchautorin im Interview zu ihrem Buch. Wien am 27.02.2018

Den Begriff hat mir Frau T. an den Kopf geworfen. Sie erklärte mir das dann: Ihre Welt schaue anders aus, in den Medien sieht sie aber nur Flüchtlinge und das ist "Lügenpresse". Entspricht die Berichterstattung nicht der eigenen Wahrnehmung, heißt es Lügenpresse. Bevor ich mich mit dem Argument auseinandersetze und es ausdiskutiere, sage ich "Lügenpresse".

Wie kommen wir Medien da raus?

Journalismus muss viel dialogischer werden, nicht nur über Politik berichten, sondern Leute miteinander ins Gespräch bringen, auch in einen konfrontativen Dialog. Auch wir Journalisten müssen mit den Lesern und Sehern mehr in Kontakt treten. Wenn mir jemand schreibt und ich antworte: "Was hat Sie gestört?" – kommt fast immer zurück: "Sie lesen das wirklich? Und antworten?"

Haben Sie Tipps, wie man "besser streitet"?

Ich habe keine Lösung, bin selber eine Suchende. Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen. Sich auch im Persönlichen nicht so schnell empören, sondern nachfragen: "Wie hast du das jetzt gemeint?" Nachfragen, nachfragen, nachfragen. Wirklich zuhören, nachvollziehen, warum denkt der so. Damit uns die Empathie nicht abhanden kommt.

Zur Person Susanne Schnabl-Wunderlich, geb. 1980 in Klagenfurt, ist Doktorin in Deutscher Philologie. 2000 begann sie im Journalismus, war Redakteurin bei Ö3 und ZiB. Seit 2012 präsentiert sie den „Report“. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Zum Buch „Wir müssen reden – Warum wir eine neue Streitkultur brauchen“, Brandstätter Verl., 152 S., 22,50 €, (ab 8. 3.2018 erhältlich)

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