Journalismus in Gefahr: "Es gibt regelrechte Kampagnen gegen Andersdenkende"
Ich bin Vertreterin der sogenannten Vierten Gewalt, der Medien. „Sogenannt“ deswegen, weil die Staatstheorie der Gewaltenteilung bereits 275 Jahre alt ist und sich in der Zwischenzeit einiges verändert hat. Auch die Trennung von Gesetzgebung und Exekutive ist nicht immer nach der reinen Lehre durchgehalten worden. Demokratiepolitisch haben „die“ Medien aber eine eminent wichtige, ja, eine unersetzliche Aufgabe: Wir schauen der Politik auf die Finger. Wir tun es seit der Aufhebung der Zensur in Folge der „bürgerlichen“ Revolution des Jahres 1848. Es waren die gedruckten Zeitungen, die praktisch ein Jahrhundert lang das Monopol auf die (ver)öffentlich(t)e Meinung hatten. Erst mit der Erfindung des Radios, übrigens vor ziemlich genau 100 Jahren, hat das gedruckte Wort Konkurrenz bekommen. Wirklich kritischer und unabhängiger Journalismus hat in diesem Medium allerdings erst nach der Rundfunkreform des Jahres 1967/68 stattgefunden. Die sogenannte „Informationsexplosion“ im ORF Gerd Bachers hat die „Vierte Gewalt“ mit Sicherheit gestärkt. Die privaten Zeitungen blieben weiter relevant.
Doch seit gut einem Jahrzehnt sind die klassischen Medien unter Druck geraten. Weniger durch die Politik, wie das in vielen anderen Ländern der Fall ist: In Österreich gibt es zwar medienpolitisch einiges zu tun, aber der freie Journalismus ist Gott sei Dank und trotz anderslautender Unkenrufe noch immer Realität. Aber er ist durch vier Punkte gefährdet.
Gefährdung Nr. 1: Die Ökonomie
Immer weniger Menschen sind bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen, und wir sehen die Vorboten der Rezession mit dem zunehmenden Einbrechen des Werbevolumens. Mehr als jeder zweite Euro wandert bereits in Richtung internationaler Plattformen. Die Marktmacht von Google, Facebook & Co bedroht das Geschäft nationaler Marken massiv, Wertschöpfung findet immer weniger in Österreich statt. Alles zusammen führt zu Sparpaketen in den Redaktionen und zu Mediensterben. In den USA gibt es nicht einmal mehr ernsthafte Regionalmedien und nur noch wenige „Brands“, die sich mittlerweile Milliardäre leisten: so wie Jeff Bezos die Washington Post. Oder wie Elon Musk die Plattform X. Diese Plattformen sind die neuen Massenmedien. Wenn ein verhaltensorigineller Manager wie Musk mit seinen „Tweets“ locker 20 oder mehr Millionen Menschen erreicht, dann ist er wohl so etwas wie die „Fünfte Macht“ im Staat.
In Österreich befinden sich die vom Staat unabhängigen Medienhäuser in einem Zangengriff zwischen den amerikanisch dominierten Superkonzernen und der Marktmacht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der ORF ist durch eine gesetzliche Haushaltsabgabe auf lange Sicht abgesichert. Da sind wir nicht neidisch. Aber: Wer private Verlage in Österreich erhalten sehen will, die ja auch mit ihrer Vielfalt die für eine Demokratie essenzielle Meinungspluralität herstellen, der muss für entsprechende, faire Rahmenbedingungen sorgen.
In den letzten Jahren, eigentlich Jahrzehnten ist außerdem eine Schieflage entstanden: Politik und Wirtschaft rüsten mit immer größeren Kommunikationsabteilungen auf. Unternehmen oder auch Kammern haben neuerdings sogar Newsrooms, sie haben PR-Agenturen, sie machen Lobbyingarbeit. Damit steht eine wachsende Armada an Presseleuten den schrumpfenden Redaktionen gegenüber. Natürlich bedroht das langfristig die journalistische Unabhängigkeit. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich auch die Frage, wie die stets wachsenden Presseabteilungen ihre Botschaften überhaupt platzieren können, wenn es auf der anderen Seite immer weniger österreichische Medien(-Plattformen) gibt, die Nachrichten und Informationen transportieren können.
Gefährdung Nr. 2: Digitalisierung und Soziale Medien
Alle Medienhäuser leisten riesengroße Transformationsanstrengungen, sie sind auf allen Plattformen präsent, und sie versuchen Junge mittels Videos samt Untertiteln zu erreichen: von Tiktok, über Instagram bis Youtube, wie immer die Plattformen auch heißen mögen. Dennoch hat sich die Deutungshoheit von uns Medien immer häufiger weg verlagert. Hin zu, auch politischen Influencern. Das sind viele kleine, und auch ein paar wirklich mächtige: Der gerade erwähnte Elon Musk hat die US-Präsidentschaftswahl mit beeinflusst und wird einer der großen Profiteure des Wahlausgangs sein.
Die einstigen österreichischen Parteizeitungen sind – allerdings weniger transparent als früher – im Netz wieder auferstanden. Am modernsten ist hier übrigens die FPÖ. Weil sie sich zum Teil zu Recht, zum Teil zu Unrecht ausgegrenzt fühlte in den klassischen Medien, ist sie schneller neue Wege gegangen und den anderen Parteien voraus. Der relative Erfolg der FPÖ in den sozialen Netzen erklärt sich auch damit, dass eine Opposition eben grundsätzlich von Zuspitzung lebt und damit die Mechanismen der Sozialen Medien besser bedienen kann. Auf „Social Media“ erhalten die Aussagen mehr Aufmerksamkeit. „Likes“ sind die neue Währung, man gewöhnt sich an Extrempositionen, und Verrücktheiten verleiten zur Nachahmung.
Das kann – wie kürzlich tragischerweise in Wien passiert – im schlimmsten Falle sogar tödliche Folgen haben: Zwei „U-Bahn-Surfer“ sind für ein besonders „geiles“ Insta-Video gestorben.
Die Sozialen Medien sind einerseits eine großartige Errungenschaft: Hier kann sich niederschwellig jeder informieren, vernetzen und auch seine Meinung kundtun. Der einstige Traum vom „Bürgerjournalismus“ ist in Erfüllung gegangen. Jeder, jede kann Journalist sein. Es ist einfach, kostet praktisch nichts, und mit ein bisschen Glück geht ein Tweet „viral“.
Die Kehrseite der Sozialen Medien ist die ungehinderte Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien, die Entstehung von Echokammern, Hass und Aggression im Schutze der Anonymität. Ich kann einer Klarnamenpflicht daher einiges abgewinnen – auch wenn das für manche Medien, deren Reichweite und damit Werbewert vor allem von ihrer Poster-Community abhängt, wirtschaftlich bedrohlich ist. Von den Aggressionen sind Politiker besonders stark betroffen, und da wiederum die Frauen noch stärker. Ich hoffe, die Betroffenen lesen diesen Schwall an negativer Energie im Normalfall nicht, der da – oft von anonymen und bezahlten Trollen – auf sie niedergeht. Das kann die psychische Gesundheit beeinträchtigen. Und es wirkt sich auch sonst extrem negativ aus: Das Image der Politik ist durch dieses hemmungslose Draufhauen bereits dermaßen beschädigt, dass man schon sehr mutig sein muss, um sich ein politisches Amt anzutun.
Was ich heuer für Österreich, aber noch mehr für die USA bei den Wahlkämpfen erwartet habe, ist hingegen nicht eingetreten: dass mit Künstlicher Intelligenz betriebenes Dirty Campaigning stattfindet. Es ist unfassbar einfach geworden, jemandem gefälschte Worte in den Mund zu legen. Das ist für Betrüger aller Art ein Geschenk. Wir werden daher immer öfter KI einsetzen müssen, um KI zu enttarnen. Und hier kommt wieder der seriöse Journalismus ins Spiel. Er hat die Erfahrung und die Kontakte, um Dinge einordnen zu können. Das macht Medien natürlich nicht fehlerfrei. Aber die alte Tugend „check, re-check, double-check“ ist noch wichtiger geworden.
Wie man diesen Ungeist wieder in die Flasche zurückbekommt, weiß ich nicht. Wir unterschätzen ja auch, glaube ich, noch immer den Einfluss von Plattformen wie Tiktok auf die unbemerkte Radikalisierung junger Menschen.
Gefährdung Nr. 3: Der Glaubwürdigkeitsverlust des klassischen Journalismus, übrigens parallel zur Politik
Beides ist schlecht für die Demokratie. Der Glaubwürdigkeitsverlust der Medien hat mehrere Ursachen. An den linken und rechten Rändern gehört Medienbashing sozusagen zum guten Ton. „Systempresse“ ist zum Kampfbegriff geworden. Im Laufe der Pandemie und vor allem durch die ohnehin nie in Kraft getretene Impfpflicht wurde der Ton noch einmal schärfer. Die Maßnahmenkritiker unterstellten den Medien fälschlicherweise, mit der Regierung und sogar mit der Pharmaindustrie im selben Boot zu sitzen. Ein Unsinn, der aber von vielen, die keine Kenntnis von den wirklichen Strukturen haben, oft geglaubt wird.
Kann sein, dass wir damals manches zu wenig kritisch hinterfragt haben, aber es geschah nach bestem Wissen und Gewissen: Wir wollten vor allem verantwortungsvoll sein, Tod und Krankheit vermeiden, indem wir die Menschen informieren. Wir folgten damals dem, was State of the Art in der Wissenschaft war. Rückblickend sind alle, auch Wissenschaft und Politik gescheiter. Ich halte es für sehr problematisch, wenn eine politische Partei die Spaltung der Gesellschaft zu diesem Thema immer und immer wieder befeuert, um selbst politisches Kapital daraus zu schlagen.
Natürlich ist der Glaubwürdigkeitsverlust der Medien zum Teil auch eigenverschuldet. Der viel zitierte Haltungsjournalismus, das Medium als Erziehungsanstalt war eine Fehlentwicklung. Und eine Fehlentwicklung war auch die zumindest versuchte Einengung des Meinungsspektrums innerhalb der Medienbranche. In der Pandemie wurde das meiner Beobachtung nach noch stärker, weil sich viele Journalisten mangels Alternativen quasi um das Twitter-Lagerfeuer und dessen Leitfiguren geschart haben und sich gegenseitig in ihrer moralischen Erhabenheit bestätigt haben. Wer an diesem Tummelplatz der Eitelkeiten auch nur einen Millimeter vom Meinungsstrom der Migrations- oder der Klimapolitik abwich, wurde als Dummkopf bis Rassist beschimpft. Es gab und gibt regelrechte Kampagnen gegen Andersdenkende, selbst in der eigenen Branche. Die Demagogen – auch in den Medien – hatten Hochkonjunktur und haben in ihrer Überheblichkeit gar nicht bemerkt, wie sie sich immer mehr von den Bürgern entfernten, wie sie immer mehr den klassischen Journalismus selbst unterminierten.
Erstaunlicherweise hat das alles keinen oder nur geringen Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler gemacht. Das gilt von den österreichischen Wahlen bis zur Trump-Wahl in den USA. Auch die diversen Wahlempfehlungen populärer Stars (mit Hunderten Millionen Followern im Netz) sind politisch sinn- und wirkungslos. Taylor Swift und die ganze Heerschar von Hollywood-Größen, die gegen Trump mobil machten, blieben ungehört. Das Wahlvolk unterscheidet da ziemlich genau.
Gefährdung Nr. 4: Nachrichtenmüdigkeit
Wenn es einen absoluten Overkill an Krisen gibt, und den gibt es momentan leider, tritt beim Konsumenten die sprichwörtlich gewordene News-Avoidance ein: Nachrichtenvermeidung. Man will nichts mehr über Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, über Koalitionskrisen, Budgetdefizit, Wetterkatastrophen und Unfälle lesen und hören. Es hat sich Erschöpfung breitgemacht. Das ist ein Problem – für Medien wie für Politik.
Mein Fazit: Ich glaube, wir müssen alle wieder mehr den Dialog pflegen, mehr Respekt vor anderen Meinungen haben, ich wünsche mir weniger Häme. In der Politik und in den Medien. Auch wenn das mit der nächsten Koalition nicht einfacher wird. Wir Medien sollten Kompromiss nicht immer als Schwäche betrachten und eine positive Einordnung politischer Arbeit nicht als vorauseilenden Gehorsam. Medien und Politik sind keine Partner, aber auch keine Feinde. Und in einer funktionierenden Demokratie gibt es Medienvielfalt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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