Extreme wie nach rechts gibt es auch nach links: Der postkommunistische französische Politiker Jean-Luc Mélenchon wollte gleich eine neue Republik gründen, sich Hugo Chávez annähern und Frankreich aus der NATO führen. Er bekam bei den Parlamentswahlen im Juni beinahe die Mehrheit. In Griechenland führte in der Finanzkrise 2015 der Chef der „Vereinigung der radikalen Linken“ (übersetzt für Syriza), Alexis Tsipras, seine Bewegung überhaupt in eine Koalition mit der nationalkonservativen Anel. In der Krise geht also links wie rechts – und wenn es gar nicht anders geht, sogar miteinander.
Die Radikalisierung der Menschen und damit der Politik ist eine Folgeerscheinung von großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Und sie ist eine Katastrophe. Schon in den 1920er-Jahren war nach Hyperinflation und späterem massiven Preisabfall der Wohlstand der Menschen gesunken. Arbeitsplätze gingen verloren, Löhne wurden gekürzt. Die NSDAP erreichte 1932 zweimal mehr als 30 Prozent und gelangte an die Macht. Adolf Hitler wusste, wie man die Ängste der Menschen nutzt.
Jetzt muss man nicht gleich die dunkelsten Stunden der Geschichte bemühen, um vor einer Radikalisierung zu warnen. Aber es liegt der Hauch einer „Großen Depression“ in der Luft. Die Energiepreise werden weiter steigen, die Inflation treibt die Zinsen an, viele können sich die Raten, den Einkauf, die warme Wohnung nicht mehr leisten. Die Inflation ist im übrigen nicht nur eine Folge der russischen Invasion. Sie kommt auch von den Trillionen, die die Zentralbank viel zu lange in die Märkte gepumpt hat, und von einem nun nachholenden Wirtschaftswachstum nach zwei schwierigen Corona-Jahren.
Große Probleme brauchen große Bündnisse. Mit diesem Argument wurde lange die österreichische Spezialität der Großen Koalition von Sozialdemokraten und Konservativen gerechtfertigt. Es stimmt gerade jetzt wie nie zuvor. Mögen sich vernünftige Kräfte der Mitte entgegen bisherigen Usancen zusammentun, um Radikale in den Regierungen zu verhindern. In Italien, in Schweden, vielleicht auch bald mal in Österreich. Hier sollte man schon jetzt Koalitionen in Sachfragen, eine Gesprächsbasis suchen, und damit sind nicht nur SPÖ und ÖVP gemeint. Das Pulverfass, auf dem wir sitzen, ist zu explosiv, um es der Straße oder Narren zu überlassen. Ob linken oder rechten.
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