Überzogene Plagiatsjägerei
Eine Plagiatsprüfung ist ein standardisiertes digitales Verfahren, das mittlerweile für jede Abschlussarbeit, die Studenten an Fachhochschulen verfassen, angewandt wird. In den Jahren vor 2010 gab es hingegen so gut wie kein Prüfverfahren. Ich selbst habe rund 70 Masterarbeiten an FHs als Erstbetreuer betreut (Fachgebiet Steuerrecht) und habe Erfahrung bezüglich der Arbeitsweise der Studenten und dem Aufwand der Betreuer. Es werden in der Regel zehn Stunden für die Betreuung abgegolten. Die Kandidaten an einer FH haben meist keine Erfahrung mit dem Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, mit der Folge, dass die Betreuung umfangreicher sein muss.
Diese Lehrgänge hatten gemeinsam, dass sie berufsbegleitend sind. Das bedeutet, dass die Studenten ihre Masterarbeit neben ihrer beruflichen Tätigkeit, oft Familie, dem Lehrbetrieb am Wochenende, in der verbliebenen Restzeit oder in den Ferien zu bewältigen haben. Jedem, der das versucht, ist aus meiner Sicht Respekt entgegenzubringen. Klar ist, dass Masterarbeiten im Umfang von rund 80 Seiten unter diesen Bedingungen nur selten herausragende wissenschaftliche Erkenntnisse beinhalten können. Wer höhere Ansprüche an diesen Ausbildungstypus stellt, kann das Wort Wirklichkeit wohl nicht buchstabieren.
Die Plagiatsprüfungsprogramme stellen auf Textvergleiche ab, ohne zu berücksichtigen, dass in den Rechtswissenschaften, oder sozialwissenschaftlichen Fächern, im Schrifttum meist Hunderte Wiederholungen auftauchen, wenn ein Rechtssatz eines Gerichts oder Ergebnisse empirischer Forschung abgehandelt werden. Alles mit neuen Wortschöpfungen erzählen oder das allgemein Bekannte bis zur Verwendung einer Punktation kennzeichnen zu müssen, das ist auch nicht Wissenschaft. Das verkennen jene, die sich um die wissenschaftlichen Standards in überzogener Weise annehmen, wie dies Stefan Weber macht. Seine aus persönlichen Motiven erstellten oder durch Auftraggeber finanzierten „Gutachten“ sind die Arbeit der Algorithmen.
Im Fall des ÖBB-Chefs Matthä, der seine Masterarbeit an der FHW Wien geschrieben hat, wird überhaupt vom „akademischen Großbetrüger“ gesprochen. Herr Weber gibt in seinem Gutachten nicht das Literaturverzeichnis des Kandidaten bekannt und verweist nur auf die Sekundärliteratur, die teilweise unzitiert übernommen wurde, samt den Schaubildern, die sicher keine originären Schöpfungen der Autoren waren, weil zu dem Thema Hunderte Publikationen in den USA auch ins deutsche Schrifttum eingingen. Wenn im Literaturverzeichnis die einschlägigen Werke mit Schaubildern angeführt waren, dann hat der Kandidat damaliger Praxis (2001) auf den FHs entsprochen. Auch die Arbeit von Frau Zadić ist entgegen der Auffassung von Herrn Weber keine Minderleistung, sondern Grundlage eines haltlosen Angriffs gewesen.
Gottfried Schellmann ist Wirtschaftsexperte und Steuerberater
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