ORF – wie wir?

ORF-Zentrum (2022): Der aktuelle Kampagnenslogan lautet: „ORF. Für dich und mich und alle“
Eine kleine Anleitung zum Unglücklichsein. Ein Gastkommentar von Daniel Witzeling.

Bekanntlich sollte man jemanden, der am Boden liegt nicht auch noch treten. Jedoch ist das größte Medienunternehmen Österreichs trotz massiver Seher- (oder Nicht-Mehr-Seher-)Unzufriedenheit, weit nicht am Ende und es sollte nicht wehleidig sein, wenn es einmal selbst im Fokus kritischer, in die Tiefe gehender Reflexionen steht, die manchmal „Licht ins Dunkel“ bringen. Was ORF-Mitarbeiter verdienen, wäre per se nicht der Rede wert. Diagnostisch interessant sind die psychodynamischen Reaktionen darauf.

Der Höhepunkt der monetären ORF-Wertedebatte war ein Schlagabtausch zwischen einem prominenten Anchor und dem Generalsekretär der ÖVP. Allen Ernstes debattierten hier zwei honorige Persönlichkeiten darüber, wer bei einer Jahresgage, die sich im Bereich über zweihunderttausend Euro bewegt, weniger verdient. Was geht da in einem einfachen Österreicher mit einem Medianeinkommen von ca. 32.000 Euro vor?

ORF – wie wir?

Daniel Witzeling

Der geneigte Seher mag sich hier vor den kommenden Wahlen ungläubig die Augen reiben. Die Kernfrage der oberflächlichen Neiddebatte, die vom ORF mit Überempfindlichkeit selbst befeuert wird, ist allerdings nicht das Gehalt der Mitarbeiter, sondern der wahre Wert sowie der Identifikationsgrad einer Institution wie dem ORF und seinen MitarbeiterInnen, der aus der Perspektive treuer Adoranten zum immateriellen Unesco-Weltkulturerbe erklärt werden sollte.

Im nun bereits anlaufenden Wahlkampf steht der ORF mehr, als ihm lieb ist im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie sehr erkennen sich die Österreicher noch in ihm wieder und ist es wie in einer vergangenen Werbekampagne ein „ORF. WIE WIR.“ oder stehen die Gehälter symptomatisch für die Abgehobenheit und reale Distanz zu ihrem Publikum? Fakt ist, dass ein elementarer Teil der FPÖ-Wähler, die nahezu die 30-Prozent-Marke bei Umfragen erreichen, gelinde gesagt nicht besonders zufrieden ist mit dessen Inhalten. Das Verhalten des Konzerns in der Corona-Krise ist nur einer von vielen Kritikpunkten in Bezug auf Objektivität und Ausgewogenheit. Der relativ kleine Privatsender ServusTV weiß diese Marktlücke gezielt im therapeutischen Prozess zur Sehermaximierung zu nutzen. Alleine, dass die Vertreter verschiedenster Meinungen zu gleichen Teilen präsentiert und „aufeinander losgelassen“ werden, vermittelt einem wesentlich breiteren Seherspektrum das Gefühl des Gesehenwerdens. Und dadurch, dass andere Meinungen von Diskutanten verurteilt werden, bietet der Sender diversen Zielgruppen ein Emotionsventil.

In puncto Unzufriedenheit mit dem ORF sieht es bei einigen Wählern der ÖVP oder anderen Parteien ähnlich aus wie bei der FPÖ. Zählt man diese zusammen, bräuchte der ORF keinen Teletest oder keine Wählerstromanalyse, um zu erkennen, dass er einmal über die eigene Arbeit reflektieren sollte.

Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna.

Kommentare