Wiener Schulen: So funktioniert es nicht

Ab November sollen multiprofessionelle Teams Schülern bei psychosozialen Belastungen helfen
Als sich die Stadt Wien in den 1970er-Jahren entschloss, Großheime für „schwer erziehbare“ Jugendliche durch therapeutische Wohngemeinschaften zu ersetzen, wurde den dafür vorgesehenen Sozialpädagog:innen eine Sonderausbildung in „Psychoanalytischer Sozialtherapie“ angeboten. Deren „Erfinder“ – zwei ehemalige Lehrer und ein Psychologe – orientierten sich dabei an dem österreichisch-US-amerikanischen katholischen Priester und Kulturkritiker Ivan Illich (1926– 2002), u. a. Rektor der Universität von Puerto Rico, der davon ausging, man brauche im Urwald des Amazonas keinen Dr. med. univ., sondern geschulte Personen, die hauptsächlich die häufigsten regionalen Krankheiten und Verletzungen zu behandeln wüssten – und den schnellsten Weg ins nächste Spital, wenn es etwas darüber Hinausgehendes wäre.

Rotraud Perner
Was mich – damals noch schlichte Juristin – beim Absolvieren dieser Ausbildung vor allem aufweckte, war die Kritik am „Wegdelegieren“ unangenehmer Aufgaben an sogenannte „Experten“, statt selbst die nötigen Kompetenzen zu erwerben. Bei Illich finden sich diese Gedanken z. B. in seinen Büchern „Schulen helfen nicht“ oder „Die Nemesis der Medizin“.
Genau dieses „Wegdelegieren“ zeigt sich im Ruf nach Experten aus Psychologie wie auch Sozialarbeit zur Behandlung von Störenfrieden in Schulen (oder auch außerhalb). Nun ist die Schulpsychologie bei der Behebung kognitiver Mankos ebenso erfolgreich wie sozialarbeiterisches Streetwork oder Familienintensiv-Hilfe. Aber das ist nicht das, was akut und live im Unterricht gebraucht wird – denn erstens kommen solche Maßnahmen mit Zeitverzögerung, zweitens stigmatisieren sie und verstärken damit möglicherweise die der Verhaltensauffälligkeit zugrunde liegende Problematik und drittens haben weder Psychologen noch Sozialarbeiter die dafür erforderliche Ausbildung, wie ich sie beispielsweise in meiner Lehrveranstaltung „Didaktik der Gewaltprävention“ an der Universität Wien entwickelt und in dem darauf basierenden Masterstudium PROvokativpädagogik – PRO großgeschrieben, weil „prosozial“! – mit wesentlichen psychotherapeutischen Methoden angereichert habe.
Wie beim Klavierspielen wird dabei quasi mit der rechten Hand (mit dem Linksgehirn) „die Melodie“, d. h. Wissen und Können, vermittelt, mit der linken Hand (dem Rechtsgehirn) hingegen „die Rhythmik“, d. h. die Beziehung gestaltet und damit ein ganzheitlicher Zugang zu den Adressat:innen bewirkt. Das bedeutet vor allem eine zeit- und situationsgemäße persönliche Kompetenz als Unterrichtende praktisch, aber auch wissenschaftlich fundiert zu stärken, um „über“- oder „untersicheres“ und damit kontraproduktives Verhalten unnötig werden zu lassen – auch wenn es oft von Eltern oder Vorgesetzten eingefordert wird.
Rotraud Perner ist Juristin, Psychoanalytikerin, war Univ.-Prof. für Prävention u. Gesundheitskommunikation
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