Mehr Verantwortung
Lange waren wir uns nicht sicher, ob wir die EU brauchen. Jetzt sind es fast alle. Weil wir zusammen Dinge machen, die wir einzeln nicht könnten – Umwelt, Technologie, Reisen, Elektroautos, Reisezüge, im Ausland studieren und arbeiten. Aber dann sind wir doch nicht ganz sicher.
Wir brauchen eine Führung in Europa: Die Deutschen sollen es nicht sein, die Franzosen wollen es unbedingt tun, aber auf Französisch. Die „Engländer“ leiden unter dem Brexit.
Sind wir der kleiner Bruder der Amerikaner, von der NATO geschützt? Aber da müsste jeder ein Gewehr im Haus haben.
Unsere Nachbarn im Osten haben es schnell erkannt, dass Europa seine Rolle suchen muss; zuletzt auch Polen, die Ungarn noch nicht. Die Russen scheiden wohl für einige Zeit aus. Kommissionspräsidentin von der Leyen ist mutiger als ihre Vorgänger, aber sie kann nicht alles machen.
Österreich könnte mehr machen, wir waren in der Umweltpolitik vor 20 Jahren an der Spitze. Österreich hat bei der Ostöffnung gezeigt, wie es geht. Wir sind im Pro-Kopf-Einkommen und bei Sozialleistungen im Spitzenfeld. Die Sozialpartnerschaft funktioniert; und wir sind neutral, Österreich vermittelt zwischen Streitparteien, es kann auch Beiträge zum Frieden ohne Panzer und Raketen geben.
Österreich profitiert von der Zuwanderung, ohne dies je als Strategie festgelegt zu haben: Die Bevölkerung wächst, Wien wird wieder eine Zwei-Millionen-Stadt. Aber Österreich will Grenzzäune und Abschiebungen, damit es nicht zu viele werden. Wir streicheln manchmal Viktor Orbán, obwohl er keine Migranten aufnimmt, keine Klimapolitik macht, nur Mitteln aus Brüssel verlangt und Gerichte und Medien, die ihm unterstehen.
Die Integration des Westbalkan geht extrem langsam, da könnten wir mehr Druck machen. Erdoğan ist ein Diktator, aber „seine“ Türken arbeiten bei uns. Durch Türken, Serben, Bosnier werden unsere Häuser renoviert, und die Arbeitskräfteknappheit wird geringer.
Österreich könnte einen Fortschrittsblock anführen. Zu den Zielen beitragen, wie wir alle sie erreichen wollen: Friede, besseres Klima, höhere Einkommen, Chancen der Jugend, Gesundheit. Damit können wir die Populisten zurückdrängen, die immer wieder an die Spitze „der Festung“ wollen und dort ihre Unfähigkeit zeigen, in Ungarn, in Italien, Frankreich, in Ibiza und in Österreich.
Wir sollten nicht jemand beleidigen, der weit weg scheint, weil wir von der EU eine bessere Migrationspolitik wollen. Ein kleines Land kann nicht alleine führen, aber immer Fortschrittskoalitionen bilden und in den Medien die Stärke Europas darstellen. Vielleicht auch mit einer Tageszeitung, die in Wien produziert wird und gerne über Europa, unsere Nachbarn in Nordafrika, und Österreich berichtet.
Karl Aiginger war Chef des WIFO. Er leitet die Europaplattform Wien Brüssel.
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