Leadership ist bitter nötig

Leadership ist bitter nötig
Politik ist gefordert, Stabilität und Orientierung zu geben

Dass die TV-Show „Wetten, dass…?“ die Familie versammelt habe und danach fast überall über die Sendung geredet worden sei, sagte Moderator Günther Jauch. Er nannte es den „Lagerfeuer-Effekt“. Zum Auslaufen der Show hieß es: „Das Lagerfeuer ist aus.“ Das gilt auch für Politik und Gesellschaft. Alte Narrative höhlen aus. Durch Algorithmen und Streamingdienste vereinzeln wir im Medienkonsum. Worüber wir nachdenken und was uns bewegt, unterscheidet sich mehr und mehr von Mensch zu Mensch. Das junge Jahrhundert ist prall an Ereignissen, Hoffnungen und deren Enttäuschung, Skandalen und deren Relativierung, Destruktion und Konstruktion, abrupten Abschlüssen und ambitioniertem Neubeginn.

Politik ist gefordert, Stabilität und Orientierung zu geben, wird aber selbst hin- und hergerissen. Hier setzt an, was ich als den schwerstwiegenden politischen Mangel unserer Zeit ausmache: jenen an Leadership. Jahrzehnte der Gehässigkeit, der ideologischen Verbrämung von Untugenden wie Neid, Hass und Stolz – beschrieben in der politischen Sprache mit dem Begriff des Populismus – haben Politik weitgehend degradiert, etwa zu einer Karriereoption, einem Planspiel oder geistlosem Kräftemessen.

Gerade in diesen Zeiten müssen wir Höhe und Weite suchen, Perspektive und, ja: Vision! Welche Lebensbedingungen werden Menschen in 100 Jahren auf dem Planeten vorfinden? Was können wir heute dazu beitragen? Was sich liest wie eine Phrase, erfordert Kraftakte, Mut, Weitblick und, ja: Leadership!

Die „Verweigerung des rationalen Diskurses“ wird von Karl Popper als „erste Form der Intoleranz“ beschrieben, der „Aufruf zu Gewalt gegen Andersdenkende“ als deren zweite. Hand aufs Herz: Die erste Form bricht sich Bahn. Desinformation von außen, Dekadenz im Inneren, Vertrauensverlust und ein neuer Fatalismus drohen unsere Gesellschaften zu schwächen. Und es herrscht Krieg auf europäischem Boden. Die Haltung der Kooperation, die Europa attraktiv und frei, stark und reich gemacht hat, ist auch jene Haltung, die Europa im Zugehen auf andere Teile der Welt konsequent leben muss.

Viele dieser anderen Teile der Welt suchen das Gegenteil: die Konfrontation. Dagegen müssen wir uns wappnen. Das erfordert Leadership. Leadership lässt sich nicht mit Despotismus oder Populismus verbinden, auch nicht mit Relativismus. Leadership kann zwischen gut und böse sowie zwischen richtig und falsch unterscheiden und ist diskursfähig dazu; und wird es dabei nie an Respekt gegenüber der Würde jedes Menschen fehlen lassen.

Davon abgesehen legen Logik und Weitblick nahe, dass jene, die sich von Vernunft und Toleranz entfernen, eng in das Ganze der Gesellschaft eingebunden gehören, um Fliehkräfte hintanzuhalten, um Tore und Wege immer hoch und weit zu halten.

Lukas Mandl ist EU-Abgeordneter (ÖVP).

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