Ich hatte ein gutes Leben

Ich hatte ein gutes Leben
Gedanken einer geflüchteten ukrainischen Schülerin

Ich heiße Mina. Geboren bin ich in der Ukraine. Ich bin wegen des Kriegs nach Wien gekommen. Ich hatte ein gutes Leben vor dem Krieg.

Ich bin in einem Stall am Land geboren, welches ich mein Leben lang vermissen werde. Obwohl ich dort nicht leben wollte, weil dort die Lebensumstände und Möglichkeiten nicht die besten sind, wollte ich dortbleiben; obwohl ich dort nie wohnen wollte.

Ich bin froh und dankbar, dass ich dort geboren bin und gewohnt habe, aber bleiben wollte ich dort nicht. Ich hatte in meinem Zuhause viel Freiheit, obwohl ich sehr eingeschränkt im Leben war. Mit dem Umzug in ein anderes Land haben wir viele Probleme mitgenommen.

Das größte Problem ist die Kommunikation mit anderen Menschen. Ich habe eine sehr große Angst vor Bekanntschaften oder Gesprächen mit Fremden. Wenn man die Sprache nicht kann, in meinem Fall ist es Deutsch, hat man es sehr schwer.

Ich habe hier keine Freunde, mit denen ich reden oder etwas unternehmen kann, weil alle meine Freunde in der Ukraine geblieben sind. Außerdem habe ich noch ein Problem: Obwohl ich mir hier in Österreich kein Leben vorstellen kann, verstehe ich, dass eine Rückkehr unmöglich ist.

Für mich ist es auch so schwer, weil mein Zuhause das Wichtigste in meinem Leben ist. Es ist das, was mich zu der gemacht hat, die ich bin. Dort sind meine Freunde.

Meine Probleme und die in meinem Ort hier wirken im Gegensatz zu den Orten an der russischen Grenze sehr klein. Trotzdem bin ich traurig darüber, dass mein Leben sich so drastisch geändert hat und ich von einen auf den anderen Tag wegfahren musste.

Der Ort hier ist sehr groß und unbekannt, trotzdem gefällt es mir hier. Ich wünsche niemandem das Gefühl, vor einem Krieg weglaufen zu müssen. Dazu kommt, dass hier viele die geflüchteten Menschen verurteilen. Die Einheimischen hier wollen keine Flüchtlinge, weil diese Unterstützung vom Staat bekommen, sei es Geld, eine kostenlose Wohnung oder Kleidung. Mir ist das sehr unangenehm, und ich kann es nicht verstehen. Ich bin am Leben, aber ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll. Ich fühle mich in meinen Gedanken verloren.

Mina ist 17 Jahre alt und aus der Ukraine geflüchtet. „Ich bin in einem Stall am Land geboren“ schreibt sie. Im letzten Schuljahr besuchte sie eine 1. Handelsschulklasse in Wien. Bei einem von ihrer Lehrerin organisierten Schreibworkshop von Ernst Schmiederer (blinklicht media lab) im Juni 2022 entstand dieser Text. Das Netzwerk Kinderrechte hat ihn mit Minas Einverständnis dem KURIER zur Verfügung gestellt. Mina hat den Brief auf Ukrainisch verfasst. Eine andere Schülerin übersetzte ihn auf Deutsch. Auf dem Foto „aus dem letzten Frühling in der Ukraine“ ist Mina nur von hinten zu sehen. In Wirklichkeit heißt Mina auch gar nicht Mina. Der KURIER achtet auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

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