Die Losung der Leitkultur: Leben und leben lassen

Kants „Zum ewigen Frieden“ von 1795: Auch das Konzept Frieden ist eine Kulturleistung
Das sei die Losung der Leitkultur. Nicht mehr? Nichts als das! Ein Gastkommentar von Rudolf Taschner.

Ob man es Bassam Tibi, dem syrisch-deutschen Sozialwissenschaftler und Vertreter eines aufgeklärten Islam, zufolge Leitkultur nennt, oder, wie ich es bevorzuge, Lebensart, ist nebensächlich. Dass man darüber ernsthaft spricht, ist wichtig. Denn es geht um das Fundament unseres Selbstverständnisses und unseres Zusammenlebens. Ein Fundament, das es zu festigen gilt, weil auf ihm alle Zuwanderer Halt finden sollen. Aber nicht nur ihnen, uns allen tut es gut, sich dieses Fundaments gewiss zu werden.

Wer in der bisherigen Diskussion auf Verfassung oder Menschenrechte verwies, schob das Thema ins Juristische ab. Doch dort gehört es nicht hin. Ist die Lebensart doch Bedingung dafür, dass überhaupt Recht gelten kann. Tatsächlich greift das Thema tiefer: Wie sich Lebensart gestaltet, ist eine Bildungsfrage.

Die Losung der Leitkultur: Leben und leben lassen

Rudolf Taschner

Verlangte man von mir, das Idealbild von Lebensart mit einem Pinselstrich zu entwerfen, ohne mich im Kritzeln von Details zu verlieren, malte ich die Losung „Leben und leben lassen“ an die Wand. So simpel sie klingt, so tiefsinnig ist sie. Handelt es sich doch um die Lebensart, die auf Jerusalem, Athen, Rom wurzelt, die das Christentum vermittelte und die von der europäischen Aufklärung durchdrungen ist. Sie wurzelt auf Rom, denn der römischen Antike verdanken wir Rechts- und Staatswesen, die Res publica. Sie wurzelt auf Athen, denn der griechischen Antike verdanken wir Kunst und Wissenschaft, die Philosophie. Sie wurzelt auf Jerusalem, denn dem Judentum verdanken wir die Idee der Ebenbildlichkeit der Menschen mit Gott: dass alle Menschen gleich geschaffen sind.

All dies sog das Christentum in sich auf und verbreitete es, teils veredelt, teils verfälscht, teils katholisch, teils reformiert, machtvoll in alle Winkel der Welt. Mit dem Verblassen dieser Macht begann der Austritt der Menschen aus ihrer Unmündigkeit: die Aufklärung mit einer Fülle geistiger, technischer, künstlerischer Errungenschaften brach sich Bahn.

Insbesondere in Österreich, mit seiner Kultur und Tradition, seinen Höhen und Tiefen der Geschichte, ist daran zu erinnern. Denn darauf gründet, dass Österreich geprägt ist von Recht und Staatlichkeit, von klarem Denken und klugem Schaffen und vor allem von Achtung der Menschen voreinander.

Im „Leben und leben lassen“ ist all dies gebündelt: Ich will leben, in Fülle leben, sinnstiftend leben, gewissenhaft. Wenn möglich vorbildhaft, in jedem Fall aber unaufdringlich. Denn allen, denen ich begegne, billige ich vorbehaltlos den gleichen Willen zu. Diese Wechselseitigkeit ist das Um und Auf.

Die geistige Krise unserer geschichtsverlorenen Zeit ist, dass die Wurzeln guter Lebensart verdorren. Dann hängt das Wort vom „Leben und leben lassen“ in der Luft, verkommt zum banalen Spruch. Darum ist die Besinnung, worauf gute Lebensart gründet, so wichtig.

 

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Bildungssprecher des ÖVP-Parlamentsklubs

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