EU braucht eine neue Migrationspolitik

Der Verteilungsvorstoß der künftigen Chefin der Kommission ist richtig, greift aber zu kurz.
Walter Friedl

Walter Friedl

Eine gehörige Portion Mut kann man der designierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht absprechen. Nur Tage nachdem sie mit einer nur äußerst knappen Mehrheit im Europaparlament zur „Mrs. Europe“ gewählt wurde, greift sie eines der derzeit heißesten Eisen an: Die Migrationsthematik, konkret die Asylproblematik. Sie will weg vom sogenannten „Dublin“-System, wonach Migranten dort einen Asylantrag stellen müssen, wo sie erstmals EU-Boden betreten haben, also meist in Griechenland, Italien und Spanien. Und sie will eine gerechte Verteilung. Im Kern hat die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin völlig recht. Eine Reform der „Dublin“-Regelung, die vor 30 Jahren entwickelt wurde, ist längst überfällig. Damals war Migration kaum ein Thema, ein Flüchtlingsstrom wie 2015 unvorstellbar. Und dennoch greift von der Leyens Ansatz zu kurz.

Der Reihe nach: Dass sich Athen, Rom und Madrid beim Handling und der Betreuung der Ankommenden alleine gelassen fühlen, ist völlig verständlich und für die Union beschämend. Das widerspricht dem solidarischen Miteinander, dem sich die EU eigentlich verpflichtet hat. Dass sich einige Mitgliedsstaaten hartleibig und konsequent dagegen wehren, Flüchtlinge aufzunehmen, fällt ebenso in diese Kategorie. Es kann nicht sein, dass ein paar Länder, wie Deutschland, Schweden oder Österreich, die Hauptlast tragen, während sich andere, wie Ungarn oder Polen, aus der Verantwortung stehlen. Leider ist abzusehen, dass diese Staaten eine faire Lösung weiter blockieren und damit auch Ursula von der Leyen auflaufen lassen werden.

Doch an die Adresse aller Hardliner – folgendes Rechenbeispiel: Die EU hat gut 500 Millionen Bürger, nähme sie – gerecht verteilt – fünf Millionen Migranten auf, wäre das gerade einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Daran geht der Kontinent mit Sicherheit nicht zugrunde und die abendländische Kultur auch nicht. Wer das trommelt, setzt auf billigen Populismus.

Kooperation mit Herkunftsländern nötig

Was von der Leyen bei ihrem Vorstoß nicht thematisiert hat, aber von zentraler Bedeutung ist: Die große Zahl an Migranten, die keine Chance auf einen Asylstatus haben oder deswegen gar keinen Antrag stellen, betrifft fast alle Westafrikaner. Haben sie es einmal nach Europa geschafft, bleiben sie. Rückführungen gibt es kaum. Hier besteht ebenfalls dringender Handlungsbedarf. Es braucht klare Signale an die Bürger der Herkunftsländer, dass es keinen Sinn macht, den lebensgefährlichen Trip durch die Sahara und über das Mittelmeer zu riskieren. Es braucht aber auch eine stärkere Kooperation mit diesen Staaten im Süden, um den Menschen dort eine Perspektive zu geben, damit sie sich erst gar nicht auf den Weg machen. Auch dieses Themas wird sich von der Leyen annehmen müssen. Für breite Lösungen, die tatsächlich auch etwas hergeben, wird sie hier neben Mut auch viel Geduld und Nerven aus Stahl brauchen.

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