Ehrenrettung für den Pazifismus

Ehrenrettung für den Pazifismus
Auch angesichts des brutalen Angriffskrieges sind Zweifel am Ruf nach immer mehr Waffen legitim und ein wichtiger Beitrag zur Debatte
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Feigheit, das ist so ein Wort, das uns liberalen Demokraten sogar auf Kinderspielplätzen nur noch unter vorgehaltener Hand auskam. Doch auf einmal ist dieser Vorwurf, der für viele den Beigeschmack autoritärer Gewaltkultur hatte, wieder ständig im Einsatz. Putins Angriffskrieg ließe sich nur mit militärischen Mitteln kontern. Zweifel an der Wahl dieser Mittel – also etwa an der Lieferung von Panzern an die Ukraine – werden kurzerhand mit eben diesem Vorwurf der Feigheit vom Tisch gewischt.

Dass jetzt ausgerechnet Zentralfiguren demokratischer Debattenkultur wie Alice Schwarzer oder Gerhard Polt dieser Vorwurf gemacht wird, sollte allerdings stutzig machen. Waren es nicht diese Persönlichkeiten, die über Jahrzehnte - und gar nicht feig - einzementierte Mehrheitsmeinungen infrage gestellt haben? Feigheit hat man dieser Generation linksliberaler Intellektueller schon einmal vorgeworfen – damals, als sie sich in den 1980ern gegen die rasante Aufrüstung der NATO und des gesamten Westens stellten. Auch da hieß es, ihr Pazifismus würde den Westen der sowjetischen Aggression hilflos ausliefern.

"Lumpenpazifismus"

Damals kam dieser Vorwurf vorrangig aus den Reihen der Bürgerlichen. Heute ist es die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die nach schweren Waffen ruft, oder der demonstrativ antibürgerliche Provokateur Sascha Lobo, der doch tatsächlich den Begriff „Lumpenpazifismus“ gegen Schwarzer & Co. in Stellung bringt.

Niemand zweifelt daran, dass man Putins Aggression entgegentreten, dass er gestoppt und letztlich entmachtet werden muss. Doch Zweifel am Einsatz militärischer Gewalt und Widerstand gegen schrankenlose Aufrüstung waren prägendes Element der europäischen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann diese Zweifel jetzt für deplatziert halten, sie aber als Feigheit oder eben „Lumpenpazifismus“ zu denunzieren, ist ein Schlag unter die Gürtellinie gegen eine Debattenkultur, die wir notwendiger denn je brauchen.

Tiefer Graben zwischen Ost- und West

Man kann Putin mit Waffen stoppen, um die Ukraine aber danach endlich auf einen europäischen Weg zu bringen, werden Kampfpanzer nicht reichen. Die 100 Milliarden, die Deutschland jetzt in seine Rüstung pumpt, werden den immer tieferen Graben zwischen West- und Osteuropa nicht schließen. Dieser Krieg wird dank westlicher Waffen voraussichtlich gewonnen werden. Wie aber gewinnt man danach den Frieden

für die Ukraine? Wie stabilisieren wir eine Region, die wir in unserem Hinterhof sitzen gelassen haben, eine Region, die von Kiew bis Sarajewo reicht? Waffen waren dafür noch nie geeignet. Wir werden die Stimmen der Pazifisten, die wir so leichtfertig als feige abtun, noch brauchen, wenn wir uns nach diesem Krieg an die Arbeit für einen echten europäischen Frieden machen – und das werden wir müssen.

Porträt eines Mannes mit Bart vor dem Hintergrund des „Kurier“-Logos.

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