Digitaler Dschihad

Digitaler Dschihad
Wer sich radikalisieren will, muss nicht nach Syrien – ein Blick ins Smartphone reicht. Mit ihrer Homophobie sind die Islamisten aber nicht allein.
Christoph Schwarz

Christoph Schwarz

„Das Böse“, schrieb KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon gestern an dieser Stelle in ihrem klugen Leitartikel, „wird immer unsichtbarer.“ An manchen Tagen tritt es dafür auf erschreckende Weise übergroß ans Licht.

Drei Jugendliche hatten, wie heute bekannt wurde, einen Anschlag auf die Regenbogenparade geplant, bei der in Wien 300.000 Menschen feierten. Die mutmaßlichen Attentäter hatten sich nicht nur mit Äxten, Säbeln und Wurfsternen aufmunitioniert. Sondern auch mit Air Guns, die täuschend echt an Sturmgewehre erinnern und dazu angetan sind, Massenpanik auszulösen. Über weitere Waffenkäufe haben sie sich im Internet informiert.

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Das Internet ist auch jener Ort, an dem sich die jungen Islamisten – mit bosnischen und tschetschenischen Wurzeln – radikalisiert haben. Als Tummelplatz für Hassprediger läuft die digitale Welt der realen zunehmend den Rang ab. Probleme haben wir da wie dort: Jüngste Studien zeigen, dass Muslime in heimischen Moscheen vielfach immer noch mit staatsfeindlichen, integrationshemmenden Botschaften indoktriniert werden. Auch eine Erhebung über den islamischen Religionsunterricht förderte Bedenkliches zutage. Der digitale Raum ist noch gefährlicher, weil anonym. Das machen sich „Influencer Preacher“ zunutze, die hier ein junges Millionenpublikum erreichen. Um sich zu radikalisieren, muss man längst nicht mehr nach Syrien reisen. Es reicht, das Smartphone zur Hand nehmen. Für die Behörden sind – auch, weil rechtliche Mittel fehlen – die jungen Islamisten kaum fassbar. Da wächst eine gefährliche Gruppe heran.

Dass ausgerechnet die Regenbogenparade – ein Fest der Diversität und für die Rechte der LGBTIQ-Community – im Fadenkreuz stand, ist kein Zufall. Die offene westliche Gesellschaft ist Islamisten per se ein Dorn im Auge, für Homosexualität gilt das im Besonderen. In vielen islamischen Ländern ist die gleichgeschlechtliche Liebe mit Haft, in manchen mit der Todesstrafe bedroht.

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Brandgefährlich ist, dass Homophobie in Österreich längst nicht nur ein importiertes Problem ist. Rechte und erzkonservative Gruppen sind in ihrem reaktionären Gedankengut den ausländischen Predigern – paradoxerweise – nicht allzu fern. (Auch hier hilft das Internet.) Dass die FPÖ, die mit Ausländern sonst hart ins Gericht geht, die polizeiliche Meldung über die Anschlagsgefahr als „Ablenkungsmanöver“ und „Farce“ abtat, spricht für sich. Dass zwei „Anti-Pride-Märsche“ durch die Stadt zogen und eine Frau von Homophoben mit Tritten und Schlägen attackiert wurde, ebenfalls.

Wir leben in Zeiten der wachsenden Intoleranz und des Extremismus. Die Augen davor zu verschließen, sei es in der Integrations- oder Gesellschaftspolitik, geht sich nicht aus. All jenen, die den Boden für Hass und Gewalt aufbereiten, müssen wir stärker entgegentreten – egal, woher sie kommen.

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