Reden wir an dieser Stelle, an der zumeist politische Themen verhandelt werden, heute über Maradona. Warum über einen übergewichtigen, drogensüchtigen, schon seit Langem nicht mehr bedeutenden Sportler? Weil mit seinem Tod die 1980er-Jahre endgültig vorbei sind. Kein Prince mehr, kein David Bowie, kein Michael Jackson, Madonna künstlerisch verblichen – und jetzt auch noch der Abschied vom Genie mit dem hellblauen Trikot und der Nummer 10, dessen Fußballaufführungen die meisten ach so ernsten Künste überstrahlten, dessen kleine Zehe ebenso so wichtig war wie Pavarottis Stimmband, der auf den Rasen metaphysische Traumsequenzen pinselte wie De Chirico. Adiós, Diego!
Warum noch? Weil er nicht nur die Spitze des Sports symbolisierte, sondern auch die Politik seiner Zeit, die Gesellschaftspolitik ebenso wie die große (nur Naive glauben, da gäbe es einen Unterschied).
Maradona wurde zum Helden – ja, der Begriff ist in diesem Fall zulässig – in Argentinien, als er die Nationalmannschaft 1986 zum WM-Titel führte, unter anderem mit zwei Toren gegen England. Das war vier Jahre nach dem Falkland-Krieg zwischen eben diesen beiden Nationen, selbstverständlich spielte das beim „kleinen Krieg“ auf dem Fußballfeld noch eine Rolle (wer eine fiktionale Variante dieses militärischen Machtkampfes sehen will, dem sei übrigens die Netflix-Serie „The Crown“ empfohlen). Maradona war aber auch eine Art Freiheitskämpfer in Neapel, als er den dortigen Fußballklub zum ersten italienischen Meistertitel führte. Eine Mannschaft aus dem Süden besiegt den reichen, verhassten Norden, das machte ihn zur neapolitanischen Antwort auf Garibaldi. Im Zuge der Feierlichkeiten wurden sogar Gräber mit einem Spruch beschmiert: „Ihr wisst nicht, was ihr versäumt habt“.
Selbstverständlich gehört zu einem Helden auch der Absturz. Sein Körper wurde unkontrollierbar, nicht mehr für Gegner, sondern für ihn selbst. Nur weil jemand in der Mythologie besteht, heißt das nicht, dass er für das reale Leben geeignet ist.
Auch in diesem Punkt sind Sport und Kultur Geschwister. Sie bringen Identifikationsfiguren hervor, sorgen für ein Gemeinschaftsgefühl, das die Politik so gerne künstlich kreieren will. Wenn es nationale Schulterschlüsse geben soll, dann bitte vor allem in solchen Disziplinen.
In der Krise – sei es in der ökonomischen, sei es in der gesundheitlichen so wie jetzt – braucht man jedenfalls Projektionsflächen wie Fußballer, Sänger oder Schauspieler umso dringender. Da macht es besonders traurig, dass derart wesentliche Genres zur Zeit ohne Publikum auskommen müssen, sofern sie überhaupt stattfinden.
Im Fußball-Himmel kann Diego nun Gott seine Hand zurückgeben. Mal sehen, was damit geschieht.
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