Eine Nation muss sich angesichts der Toten, die ein von rassistischen Wahnideen befeuerter junger Mann auf den Straßen von
El Paso hinterlassen hat, einer bohrenden Frage stellen. Wie tief ist die Kluft zwischen „Rassen“ und Klassen, zwischen dunkler und heller Hautfarbe, zwischen liberalen Städtern und konservativen Landbewohnern? Wie weit sind die Amerikaner, die sich doch so gerne als Gemeinschaft sehen, von einander abgerückt?
Doch diese Gegensätze haben die USA durch ihre Geschichte begleitet. Wie man einst über die dreckigen katholischen Iren schimpfte, fürchten sich viele jetzt vor Latinos, die das Land angeblich überfluten. Die Tünche des Wohlstands, die diese Gegensätze verdeckte, blättert rasch ab, wenn Ängste um den eigenen Lebensstandard, um die eigene Identität wach werden. Man kann sich darüber empören, dass Trump diese Ängste bedient. Doch damit ignoriert man nur, dass diese Ängste eben da sind und wir damit umgehen müssen, anstatt die, in denen sie hochkochen, zu verteufeln.
Der Schatten der Geschichte ist viel länger, ihre Motive stecken viel tiefer, als wir es gerne glauben, in den USA wie in Europa. Der hierzulande beliebte Zeitvertreib, sich über die rassistischen USA und ihren Präsidenten zu empören, lenkt nur davon ab, dass wir uns die gleichen Fragen stellen müssen. Driftet das angeblich geeinte Europa nicht gerade zwischen Ost und West, Nord und Süd auseinander – und das entlang uralter Gräben?
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