Der Pulverdampf ist nur für die Bühne

Politik brutal: Rot-grünes Wien gegen Türkis-Blau. Aber Wien ist pragmatischer, als es scheint.
Martina Salomon

Martina Salomon

„Ein echter Wiener wird nicht munter“: In den vergangenen Tagen überschlugen sich Satiriker mit teils echt witzigen Wien-Sprüchen und -Zeichnungen. Nach der Aussage von Bundeskanzler Kurz war das natürlich „aufgelegt“: Er hatte am Rande der Regierungskonferenz vor einer Entwicklung, speziell in Wien, gewarnt, wonach in vielen Familien nur noch die Schulkinder früh aufstehen. Was prompt eine Kaskade an Unfreundlichkeiten aus der SPÖ-Wien auslöste.

Wohl kalkulierte Scharmützel, die zumindest innerparteilich beiden Seiten helfen, wie man in der OGM-Meinungsumfrage im Auftrag des KURIER sieht: Die Standpunkte kommen bei den jeweiligen Parteianhängern gut an. Türkis-Blau gegen Rot-Grün, das übliche Match. Als Vorbereitung für den erst 2020 stattfindenden Wien-Wahlkampf ist das für Bürgermeister Michael Ludwig kein Fehler. Er hofft ja auch, dass sich die Strahlkraft der Bundeskoalition bis dahin abgeschwächt hat.

Will Ludwig aber erstens ein Bürgermeister für alle Wiener sein und zweitens längerfristig den grünen Koalitionspartner gegen die ÖVP tauschen, dann wird Zuspitzung allein wohl nicht reichen. Ludwig ist bodenständiger Realist genug, um zu wissen, dass Wien zwar eine der lebenswertesten Städte der Welt ist, aber dennoch ein paar Aufräumarbeiten braucht. In der Stadt, seit 1945 ununterbrochen von der SPÖ regiert, hat sich Filz angesammelt. Ein undurchsichtiges Firmengeflecht sorgt dafür, dass Aufträge am liebsten an „befreundete“ Firmen und Organisationen gehen. Das reicht vom Krankenhaus Nord bis zum Fall der Ehefrau des Ex-Landtagspräsidenten Kopietz, die für den von der Stadt großzügig geförderten Verein der Wiener Kinder- und Jugendbetreuung ein vom Rechnungshof kritisiertes überaus üppiges Salär bezog. Wann wird ernsthaft ausgemistet? Kritisch ist auch das wachsende Defizit. Der neue Finanzstadtrat hat Gott sei Dank schon den Besen ausgepackt. Und auch die Kulturstadträtin arbeitet mit einem erfrischend anderem Zugang an vielen Baustellen.

Unauffällige Kurskorrektur

Die neue Stadtregierung ist pragmatischer als sie scheint. So hat Wien in den vergangenen Jahren zu hohe Zuwanderung ins Sozialsystem zugelassen und Probleme geleugnet. Nun gibt es eine stille, aber deutliche Kurskorrektur, siehe den „Wien-Bonus“ für Einheimische und mehr Sanktionen für Arbeitsverweigerer, auch in Wien. Schließlich stehen die Österreicher klar mehrheitlich zur härteren Politik der Bundesregierung. Wenn sich also der Pulverdampf verzogen hat, der in Wahljahren (EU Mitte Mai) immer ein wenig beißender ist als sonst, dann kann man in Wien den neuen Weg erkennen. Klar, in einer Metropole ist man nie „mit den Hühnern“ aufgestanden (um dafür auch später ins Bett zu gehen). Wichtig ist nur, die Dynamik in der immerhin zweitgrößte deutschsprachige Stadt nicht zu verlieren. Da gibt es schon einiges zu tun. Auf gut Wienerisch: „Oida! Aufwachen!“

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