Die schweren Geschütze, die gegen eine App zum trivialen Zeitvertreib aufgefahren werden, muten ein wenig wie Satire an. Klar ist man – insbesondere als Eltern! – rasch ein wenig genervt von den vielfältigen Videominiaturen, die (vorwiegend) Teenager auf TikTok austauschen. Aber deshalb gleich so ein Aufruhr?
Die Realität ist jedoch eine andere – eine viel komplexerer, erstaunlichere. Denn mit der App, die unter jungen Menschen den US-Konkurrenten längst den Rang abgelaufen hat, hat China etwas geschafft, das sonst außerhalb seiner Möglichkeiten scheint: die kulturelle Eroberung des Westens. Und in der aufflammenden Entzweiung der wirtschaftlich immer noch aneinandergefesselten Großmächte USA und China ist das ein Schreckensszenario für erstere.
Und dann kommt da der Schelm ins Spiel – der nämlich, der Böses denkt. Mit Furor äußern die USA-Politiker bis zum Präsidenten hinauf den Verdacht, dass China – große Unternehmen sind dort vom Staat nicht zu trennen – die App zur Spionage benützt; dass die Machthaber in Peking Bewegungsdaten der Amerikaner, Zugriff auf deren Handykameras und Mikrofone erhalten. Auf die Frage, ob China via App spioniert, hat der Firmenchef nur sehr, sehr halbherzige Antworten parat.
Datenfluss
Angesichts dessen, dass amerikanische Apps und Technologie (fast) die ganze Welt durchdringen, steht dieser Furor jedoch auf wackeligen Argumentationsbeinen. Ja, die Daten fließen wohl nach China – ziemlich genau so, wie die Daten sonst in die USA fließen. Wer das eine für den eigenen Wirtschaftsboom und die Marktbeherrschung nützt, gerät rasch in die Debattendefensive, wenn beim Kontrahenten dasselbe Spiel plötzlich böse sein soll.
Die Datensaugerei von Smartphones, Apps, Webseiten ist insgesamt ein Irrsinn – in Hinblick auf Staatssicherheit ebenso wie auf die persönlichen Freiheiten (und die Pressefreiheit). Der Theaterdonner rund um TikTok sollte hier im Idealfall der Startschuss sein, dass sich die europäischen Politiker zu noch viel strengeren Regeln aufraffen, um diesen Orwell’schen Datenkapitalismus in seine Schranken zu weisen.
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