Die Handelsbeziehungen mit der EU sind noch dramatischer eingebrochen, als es selbst jene Experten, die den Traum vom neuen, freien Großbritannien nicht mitträumen wollten, vorhersagten. Und um das alte britische Trauma vom übermächtigen Deutschland zu bedienen, machte es die konservative Times in einem simplen Zahlenspiel fest: 2016 erreichte die britische Wirtschaft 90 Prozent der deutschen Konkurrenz, heute liegt man bei weniger als 70 Prozent. Dazu ist die Währung ins Schlingern geraten, die Zinsen für Staatsschulden steigen – und, wem das zu theoretisch ist, die Muscheln und Austern aus der schottischen Nordsee vergammeln während der nun notwendigen Zollformalitäten an den EU-Außengrenzen. Dass kein auch noch so ausgetüftelter Vertrag das Problem Nordirlands lösen kann – ein Teil Großbritanniens, der offene Grenzen zum EU-Nachbarn haben muss – lässt sich auch mit Hausverstand begreifen. Dass Schottlands Nationalisten mit dem Brexit endlich wieder einen Grund haben, die Unabhängigkeit zu fordern, ebenfalls.
Nicht mit Wählern verscherzen
Bisher aber drückten sich sämtliche Spitzenvertreter der britischen Politik um das Thema herum. Die Konservativen wollten es sich nicht mit dem Nationalstolz ihrer traditionell europaskeptischen Wähler verscherzen, Labour nicht mit den Arbeitern, die beim Referendum 2016 mehrheitlich für den Brexit gestimmt hatten.
Das hat auch der nun neu ins Amt gerufene Premier Rishi Sunak getan. Der Sprössling einer indischen Einwandererfamilie gab sich damals als überzeugter Verfechter der Idee eines „globalen Großbritannien“, das, einmal aus den Fesseln der EU-Bürokratie befreit, rund um die Welt lukrative Beziehungen pflegen konnte.
Pragmatiker
Doch der ehemalige Finanzminister ist auch ein Pragmatiker. Den sinnlosen Versprechen seiner glücklosen Vorgängerin vom Steuerparadies Großbritannien ist er nicht auf den Leim gegangen, auch wenn ihn das im Rennen gegen Liz Truss um das Amt des Premiers den Sieg kostete. Nicht zufällig hat die Times pünktlich zu Sunaks Amtsantritt in einem Kommentar offen gefordert, den Brexit neu zu überdenken. Der linksliberale Guardian überlässt es einem prominenten Geldgeber der Konservativen, dasselbe vorzuschlagen. Die Brexit-Kritiker brechen also erstmals ihr Schweigen, zeigen auf den übergroßen Elefanten im Zimmer. Rishi Sunak ist wohl scharfsichtig genug, den ebenfalls zu erkennen.
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