Der schwere Kater kommt danach

Tories wollen Johnson schnell als Premier loswerden
Das Hauen und Stechen um das Amt des Premiers lässt die britische Politik weiter auf die längst anstehenden Probleme vergessen.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Eine schäbige Intrige hier, ein überraschender Rückzug mit nachfolgender Unterstützung des bisherigen Gegners da: Die selten zimperlichen britischen Medien bekommen in diesen Tagen täglich politische Schmutzwäsche aus der Konservativen Partei geliefert. Dort läuft ein Hauen und Stechen um das Amt des Parteivorsitzenden, das Shakespeares Königsdramen wie Gute-Nacht-Geschichten aussehen lässt.

Irgendwann aber ist das Gaunerstück vorbei und übrig bleibt ein Kandidat, für den von da an überfallsartig die politische Realität Großbritanniens hereinbricht – und die ist ziemlich düster. Das Land ist nicht nur tiefer in die Corona-Krise gestürzt als viele andere in Europa, es kommt auch deutlich langsamer heraus. Vom Grenzstreit zwischen Nordirland und Irland über die drohende schottische Unabhängigkeit bis hin zur chronischen wirtschaftlichen Unterentwicklung des verarmten englischen Nordens: Die ungelösten Probleme stehen Schlange, und das nicht erst seit gestern. Es scheint, als hätte sich die britische Politik unter dem talentierten Populisten Boris Johnson noch einmal eine ausgiebige Party gegönnt.

Große Sprüche statt ernst gemeinter und somit mühsamer Lösungsansätze, noch größere Visionen von einem „globalen Großbritannien“ statt des Versuchs, die Beziehungen zu EU-Europa nach dem Brexit wirklich neu zu ordnen.

Doch egal, wer als neuer Premier voraussichtlich im Herbst in die Downing Street 10 einzieht, an dieser Herausforderung kommt er oder sie nicht vorbei. Der Brexit, den Boris Johnson aus einer politischen Laune heraus betrieben und schließlich fehlerhaft durchgezogen hat, stellt London vor Probleme, deren Lösung oft nicht einmal angedacht ist. Da geht es nicht nur um die Grenzregelung für die irische Insel, die voller Widersprüche steckt, oder um die Probleme für britische Fischer, ihre Ware zeitgerecht auf europäische Tische zu bringen, sondern um ein Konzept für die britische Wirtschaft, das über blumige Versprechen von Handelsabkommen mit der ganzen Welt hinausreicht.

Die EU bleibt Großbritanniens wichtigster Handelspartner. Wenn dessen Industrie, die Margaret Thatcher einst in den 1980ern beerdigt hatte, wieder international mitspielen konnte, dann war es, weil die europäische, und da vor allem die deutsche Industrie, ihr diese Rolle zubilligte. Der Londoner Finanzmarkt mag mit dem Vermögen russischer Oligarchen Schlagzeilen gemacht haben, einen Großteil seines Geschäftes machte und macht er mit europäischen Banken und Versicherern. Boris Johnson tat gerne so, als seien das alles Selbstverständlichkeiten, Geschäfte, um die sich die Europäer ohnehin reißen würden. Aber in Partylaune lässt sich die Welt immer leichter retten als mit dem Kopfweh am Tag danach, wenn man sich auf einmal wieder um die Realität kümmern muss.

Porträt eines Mannes mit Bart vor dem Hintergrund des „Kurier“-Logos.

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