Blog Nr. 1150: Es weht ein eisiger Wind von der Themse herüber. Zehen, Finger, Nase sind schon extrem kalt. Doch die 12.052 im fast ausverkauften Griffin Park nehmen davon kaum Notiz. Freitagabend im Westen von London. Es ist kein „Derby of Love“, es ist auch kein Spitzenspiel in der Premier League. Und dennoch sind die Menschen hier voller Vorfreude. FC Brentford versus Fulham FC: mit dem Londoner Stadtteilderby in der Championship (zweithöchste Spielklasse) nimmt ein weiteres Fußball-Wochenende auf der britischen Insel seinen Lauf.
Die kalten Füße, der Brexit, all die Flugzeuge, die Kurs auf die nahen Landebahnen von Heathrow nehmen: Interessiert die 12.052 nicht. Unter ihnen übrigens auch etliche „Groundhopper“ vom Kontinent, total Beseelte, die selbst dem britischen Zweitligafußball hinterher fliegen.
Für die Feinspitze unter den Fußballfans
Brentford und Fulham, das sind nicht Arsenal und Chelsea. Genau deshalb sind die 12.052 Fußball-Feinspitze hier. Die Karten für das Derby der Londoner Stadtteilnachbarn sind einigermaßen leistbar, der von schmucken alt-englischen Einfamilienhäusern und unzähligen Pubs umrandete Griffin Park hat auch ohne VIP-Tribüne Patina, und die 22 Profis müssen nicht in engen taktischen Korsetten agieren, müssen sich auch nicht den Ball langweilig zuschieben. Von Anpfiff an gibt es daher Torszenen ohne Ende.
Jubel gibt es aber nur im Gästesektor
Und nicht zu vergessen die britischen Fans. Sie verzichten weitgehend auf Hasstiraden gegen Schiedsrichter und andere Mannschaft. Ja, es wird schon geschimpft, aber nicht ordinär, auch nicht gehässig. Fachkundig wird viel mehr jeder Ball, der übers halbe Spielfeld fliegt und dann auf dem ausgestreckten Fuß eines Flügelspielers kleben bleibt, beklatscht. Tradition und Witz haben auch die Gesänge der einzelnen Fan-Abordnungen. Und wenn ein Tor fällt, brechen alle emotionalen Dämme! An diesem Abend brechen sie zwei Mal. Jubel gibt es aber nur im Gäste-Sektor hinter dem Tor, das dem Bahnhof zugewandt ist.
Nach dem Spiel ins nächst gelegene Pub
Nach dem Schlusspfiff haben die beiden Polizistinnen hoch zu Ross und ihre Kollegen keinen Stress mit den 12.052 Zuschauern. Viele strömen in die umliegenden Pubs, um ihre Füße, Hände und Nasen aufzuwärmen und sich bei einem Pint oder auch mehreren zu erzählen, was sie soeben gemeinsam erlebt haben. Wenn notwendig, wird mit Fortdauer des Abends eine Niederlage in einen Sieg umgedichtet. Der Kellner hinter der Schank mit seiner lustigen Frisur kommt jedenfalls kaum mit dem Zapfen nach. Pfundskerle! Fußball in England ist natürlich auch ein verdammt gutes Geschäft.
Noch ein Capuccino in „The Bens Bistro“
Bevor es zum nächsten Spiel geht, noch ein kurzer Zwischenstopp bei Ben. Ben, der Inhaber vonThe Bens Bistro, sagt, dass er den besten Kaffee in ganz Brentford zubereitet. Dieser Hinweis für all jene, die sich mal nach Brentford (zum Fußball?) verirren. Ben heißt nicht Ben, sondern Raouf Benrahal. Er stammt auch nicht aus London, sondern aus Algier. Womit sich auch erklärt, warum er nach dem Studium nicht als Bauingenieur, sondern als Busfahrer jahrelang gearbeitet hat. Vom Brexit hält Ben übrigens wenig: „Den Exit der Engänder aus der EU werden Menschen wie ich noch teuer bezahlen.“
Mit der Bahn zum Spiel in die Fremde
Samstag ist dann klassischer Reisetag für Englands Fußballfans. Kreuz und quer pflügen sie durchs Land, um ihren Lieblingen zu den Auswärtsspielen zu folgen. Einige fahren mit der Bahn, die privatisiert wurde und seither nicht mehr für alle leistbar ist. Die teils geschmalzenen Preise für die Zugtickets rücken die Tarifpolitik der ÖBB in ein freundlicheres Licht. Glücklich darf sich schätzen, wer seine Karte online kaufen und dabei ein Schnäppchen ergattern konnte. Der Express vom Londoner Bahnhof St Pancras (nahe der U-Bahn-Station King’s Cross) nach Nottingham benötigt eine Stunde nach Leicester, eine weitere nach Nottingham.
Der Trent trennt Notts County von Forest
Nichts gegen Robin Hood, aber Fußballfans fasziniert in Nottingham mehr, dass die beiden Stadien von Forest und Notts County nur durch einen schmalen Fluss, den Trent, getrennt werden. Meadow Lane heißt das Stadion vom Notts County FC, es wurde im Jahr 1910 eröffnet. Der Verein wurde 1862 gegründet und ist somit ein Jahr älter als der englische Fußballverband. Bekannter in Europa ist jedoch der Stadtrivale Nottingham Forest im benachbarten City Ground. Auch wenn dessen Europacup-Siege unter Trainer Brian Clough bald vierzig Jahre zurück liegen. Heute spielen die „Reds“ wie Brentford und Fulham nur in der zweithöchsten Liga, auch weit entfernt von einem Aufstieg.
Stillstand nach einer rasanten Partie
Dennoch wollen mehr als 20.000 im Stadion das Nachzügler-Duell gegen die Queens Park Rangers aus London sehen. Auffallend viele bringen ihr Essen und Trinken mit. Fußball ist der einzige Luxus, den sie sich leisten können. Jedenfalls kommen sie an diesem Samstagnachmittag auf ihre Rechnung. Taktik scheint zweitrangig, Leidenschaft die oberste Prämisse. So stellt die Heimelf nach dem Führungstreffer nicht auf Ergebnisverwaltung um, und die Gäste schaffen am Ende noch den gerechten Ausgleich. Was beide Teams in der Tabelle nicht entscheidend nach oben bringt.
Schaffner, Bier & Jimmy Floyd Hasselbank
Genial der Schaffner im Dienste der „East Midland Trains“ auf der Fahrt zurück nach London. Zuerst seine serviceorientierte Durchsage: „Aufgrund der Fans von QPR im Zug wird uns in Kürze das Bier ausgehen.“ Dann die traurige Nachricht an die Boys: „Wie ich soeben erfahre, wurde euer Trainer Jimmy Floyd Hasselbank gefeuert.“ Zu später Stunde an diesem Samstag kehren die Fußßballfans aus allen Teilen Englands heim. Und schon am kommenden Weekend wird ihr Ruf erneut überall ertönen: „U-u-a-a-r-h!“
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