Erinnerung und Zukunftstauglichkeit

Warum eine Diskussion über Österreichs Neutralität weniger angebracht ist denn je.
Michael Andrusio

Michael Andrusio

Dass der neutrale Boden Österreichs gern genutzt wird, zeigt sich derzeit höchst aktuell.

von Michael Andrusio

über 60 Jahre Neutralitätsgesetz

Der Schweizer Bundesrat Alain Berset gab einer Abhandlung über das Geschichtsverständnis der Schweiz den spannenden Titel „Erinnerung muss zukunftstauglich sein“. Wie gesagt, hier geht es um die Schweiz, aber auch für die österreichische Geschichte im Allgemeinen und die der Neutralität im Speziellen darf man sich so eine schöne Formulierung auch einmal ausleihen.

An dieser Stelle sei den heimischen Politikern gedankt, dass keiner auf die Idee gekommen ist, dass 60 Jahre für die immerwährende Neutralität ausreichend wären und eine neue Neutralitätsdebatte vom Zaun gebrochen wurde. Sie werden sich hüten, etwas zu tun, was der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher gegen den Strich geht, denn gut 80% sind hier zu Lande absolut zufrieden mit Österreichs Rolle als neutraler Staat.

Auch Versuche Österreich sanft in Richtung NATO zu bugsieren, sind wieder zum Erliegen gekommen. Politikwissenschaftler Prof. Gärtner hat kürzlich in einem KURIER-Interview erklärt, dass die Zugehörigkeit Österreichs zu einem Militärbündnis nur sehr wenige Vorteile bringen würde. Mehr Geld würde es in jedem Fall kosten. Österreich gibt derzeit etwa 0,7% seines BIP (Bruttoinlandsprodukts) fürs Militär aus, der Richtwert in der NATO liegt bei 2% und NATO-General Stoltenberg hat zu einer Zeit, als die Schuldendiskussion rund um Griechenland am Höhepunkt war, erklärt, dass die Griechen überall sonst gerne sparen können, aber sicher nicht bei den Verteidigungsausgaben.

Dass der neutrale Boden Österreichs von den Mächtigen der Welt gern genutzt wird, zeigt sich höchst aktuell bei den Gesprächen zur Lösung des Syrien-Konflikts in Wien. Auch das Atomabkommen zwischen den USA und dem Iran wurde in Wien ratifiziert, nicht weil hier die Luft so gut ist oder der Kaffee so gut schmeckt, sondern weil Österreich zu keinem Bündnis gehört. Das war auch in der Vergangenheit so, als Kennedy und Chruschtschow oder Carter und Breschnew in Wien zusammenkamen. Der Imagegewinn, den Österreich dadurch hat, ist natürlich schwer messbar und in Zahlen zu kleiden bzw. gar nicht. Aber Menschen auf der ganzen Welt konnten zumindest kurzfristig besser schlafen, als sie die Führer der beiden Supermächte Kennedy und Chruschtschow, die gerade in den 60er Jahren nah am Rande des Atomkriegs wandelten, zusammen im Schloss Schönbrunn „in freundlicher, geselliger Wiener Atmosphäre“ (Originalton Wochenschau) hocken sahen.

Im Fall eines "heißen Krieges" hätte Österreich seine Neutralität freilich nichts genutzt, wie Hugo Portisch im KURIER-Gespräch ausführte. Generäle und Militärstrategen nehmen auf solche Dinge wenig bis gar keine Rücksicht. Aber bei einem atomaren Zusammentreffen zwischen Ost und West wäre nicht nur von der österreichischen Neutralität ein Häufchen Asche geblieben. Man will sich das gar nicht allen Details vorstellen.

Solange nichts zukunftstauglicheres im Angebot ist als die Neutralität, kann das "immerwährend" durchaus noch eine Weile andauern.

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