Hugo Portisch: "Neutralität hatte militärisch nie einen Sinn"

Im Gespräch mit KURIER-Herausgeber Helmut Brandstätter.
Der Spitzenjournalist im großen Interview über die neuen Herausforderungen für Österreich und die EU.

Im großen TV-Interview erzählt Hugo Portisch über sein Leben, seine Erfahrungen mit Politikern im In- und Ausland, über die aktuelle Krise der Europäischen Union und die Zukunft der Welt. Lesen Sie im Folgenden einige Passagen.

Das ganze Interview mit Helmut Brandstätter sendet ServusTV am Nationalfeiertag, 26. Oktober, um 22 Uhr 20.

Hugo Portisch über die Neutralität, die in einem eigenen Gesetz am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat beschlossen wurde:

Die Neutralität hat militärisch überhaupt nie einen Sinn gehabt. Wir haben mit vielen Generälen gesprochen, die damals in den Planungsstäben waren, sowohl im Warschauer Pakt als auch in der NATO. In dem Moment, wo Krieg gewesen wäre, so sagten die Generäle von beiden Seiten, wären alle sofort nach Österreich marschiert. Sie hätten nicht eine Sekunde gezögert, weil ein jeder erwartet hätte, das der andere marschiert. Und diejenigen, die das am besten gewusst hatten, waren die Schweizer. Alle meine Erfahrungen bekam ich in der Schweizer Militärakademie. Dort hatte man alle Pläne vom Warschauer Pakt, alle Aufmarschpläne. Und sie wussten, wo man Atomwaffen einsetzen wollte. Ja, die Sowjets hatten Atompläne in Österreich. Jeder österreichische Widerstand wäre sofort beseitigt gewesen, mit ein paar taktischen Atomwaffen. Die NATO-Verteidigungsdoktrin wiederum hat vorgesehen, die riesige russische Panzerarmee ebenfalls mit Atomwaffen aufzuhalten. Ich habe dazu mit dem österreichischen Generalstabschef Philipp gesprochen. Ja, sagte er mir, damit haben wir auch voll gerechnet. Das war so fürchterlich, weil wir wussten ja, dass die beiden Atommächte in Österreich aufeinanderprallen würden, wir wären mittendrin, wenn beide versuchen würden, Atomwaffen einzusetzen. Ein Entkommen wäre nicht möglich gewesen, weder für die Truppe noch für die Zivilbevölkerung. Das war ein Horrorszenario.

Portisch über die Suche nach der österreichischen Identität:

1963 hat der damalige Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) in Kärnten eine Rede gehalten, über die ich erstaunt war, wo er gesagt hat, wir sind Deutsche. Pittermann war eben noch ein Mann der 1. Republik. Ich war damals KURIER-Chefredakteur, musste in der eigenen Redaktion heftig diskutieren. Als ich über die Österreichische Identität und die österreichische Nation geschrieben habe, meinten einige Kollegen, aber geh, das gibt’s ja nicht. Da hieß es, wir sind doch Teil der deutschen Gesichte, wir waren Kaiser des Römischen Reiches deutscher Nation. Also die Nationalwertung hat sich da erst abgespielt und da glaube ich schon, was immer die Neutralität sonst wert gewesen ist, sie wurde Bestandteil der österreichischen Mentalität.

Portisch über sein Verhältnis zu Bruno Kreisky (SPÖ), der bei Staatsvertrags-Verhandlungen Staatssekretär im Außenministerium und von 1970 bis 1983 Bundeskanzler war:

Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis mit Bruno Kreisky, aber doch auch ein schlechtes. Ich habe seine nahezu Genialität in der Politik anerkannt. Auch seinen Reformwillen, der kolossal war, und zum Teil auch seine außenpolitischen Tätigkeiten. Wo ich nicht mit ihm übereingestimmt habe, war in der Frage Südtirol, da war er einer, der sagte: Wenn die dort Bomben werfen und Masten sprengen und offenbar auch blutige Kämpfe führen, versteht er diese Täter. Er sagte, Zypern ist auch nur selbstständig geworden, weil dort Bomben geworfen wurden. Und die Iren haben ihre Selbstständigkeit erreicht, weil sie Bomben geworfen haben. Manchmal muss man Gewalttätigkeiten auch tolerieren können, meinte Kreisky. Das hat mich schockiert. Weil ich der Meinung war, in einem demokratischen Europa müssen demokratische Staaten miteinander verhandeln können und Kompromisse verhandeln können. Aber doch nicht Bomben werfen. Also da haben wir uns nicht verstanden.

Portisch über die Zukunft Europas:

Ich sehe die Flüchtlingskrise als überhaupt die größte Krise und gefährlichste Krise an, die die Europäische Gemeinschaft überhaupt je durchgemacht hat. Diese Krise birgt absolut die Gefahr, dass Europa sich wieder nationalistisch auseinanderdividiert. So geht das sicher nicht. Dass etwa die osteuropäischen Staaten in die Union gegangen sind, sich einer solidarischen Gemeinschaft angeschlossen haben, die durch dick und dünn gemeinschaftlich geht, für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte steht. Und alle diese ehemaligen Ostblockländer, Polen, Tschechien, Ungarn usw. bekommen Unterstützung. Sie wurden herzlich aufgenommen, weil sie gesagt haben, sie seien so arm, sie mussten so lange unter dem Kommunismus leben, bitte helft’s uns. Und großzügig wurde und wird ihnen geholfen. Sie bekommen noch immer Zahlungen, die von anderen Europäern geleistet werden. Aber jetzt, wo es darum geht, dass sie, diese Staaten, etwas für Europa tun, fragen sie, wieso. Die haben Europa nicht im Blut. Die Deutschen, die Franzosen, die Niederländer, die Italiener, die haben genau gewusst, aus welchem Kriegselend sie gekommen sind nach dem zweiten Weltkrieg. Und welcher Mühe sie diese Einheit zustande gebracht haben. Und dass dies das wertvollste Gut ist, das dieses Europa geschafft hat. Die osteuropäischen Politiker predigen nicht Europa, Europa, Europa, sondern sie machen Politik im Ostblockstil. Die anderen sollen blechen und wir machen unser eigenes Spiel. Das war auch das Prinzip in den kommunistischen Ländern, ich habe die alle sehr gut gekannt, diese Volksdemokratien.

Portisch über den Rechtspopulismus in Europa:

Eine Krise wie die aktuelle erleichtert es den Populisten, die sagen: Was, der Neger wird neben euch wohnen, die Neger werden mit meinen Kindern in die Schule gehen. Das kommt doch nicht infrage. Man kann ja mit den kleinsten Randbemerkungen verletzen. Der ORF hat in einer Dokumentation nachgewiesen, dass in der Internetwelt Politiker, auch FPÖ-Politiker, mit Hetzparolen auftreten. Da wird gelogen, da wird die Wahrheit missachtet. Damit kann man populär werden, denn Intoleranz ist immer schnell zu mobilisieren, Toleranz erfordert Verstand, Einsehen und Mitmenschlichkeit.

Portisch über die Zukunft der Welt:

Die Vorstellung, es könnte eine Macht die Welt beherrschen, geht nicht. Stalin wollte das gerne, manche amerikanischen Politiker wollten das, vielleicht wollen sie das noch immer, aber das wird nicht gehen. Es sind zu viele Mächte da, es sind zu viele Interessen da, und der Weg, den die Welt gegangen ist, vom zweiten Weltkrieg bis heute zeigt ja, dass man nicht nur in Konfrontation leben kann. Der Kalte Krieg war schwer zu ertragen und x-Mal waren wir knapp am Ausbruch eines atomaren Kriegen, in Kuba mit der Raketenkrise, beim Berliner Mauerbau. Auch der Nahe Osten hat immer wieder Sorge ausgelöst, dass dort ein Stellvertreterkrieg ausbricht ...

Dennoch halte ich es für eine große Schwäche der Europäischen Union, dass sie nicht auch sich militärisch schützt und militärisch vorsorgt. Die alten Römer haben schon gesagt, Si vis pacem, para bellum. Also willst du den Frieden, bereite den Krieg vor. Als die ISIS angefangen hat, Europäer zu schlachten und das Kulturerbe zu zerstören, haben wir kein militärisches Mittel gehabt, das zu stoppen, das lassen wir uns als Europäer nicht gefallen. Europa muss auch militärisch einsatzfähig sein, das kann nicht den Amerikanern und Russen vorbehalten sein, Ordnung zu schaffen, wenn es um unsere Interessen geht.

Was wünscht Hugo Portisch den Österreichern für die Zukunft?

Ich wünsche den Österreicherinnen und Österreichern, dass es ihnen weiterhin auch mindestens so gut gehen soll wie bisher. Und dass sie in so einem Umfeld auch weiterhin leben können, trotz der Flüchtlinge.

Das ganze Interview mit Helmut Brandstätter sendet ServusTV am Nationalfeiertag, 26. Oktober, um 22 Uhr 20.

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