EU-Parlament: Was tun mit den Euro-Gegnern?
War es richtig, Lucke den Posten zu verwehren? Im Zweifelsfall ja.
Die ersten zwei Wochen im neu gewählten EU-Parlament haben eine Frage aufgeworfen, die in den nächsten Jahren immer wieder gestellt werden wird: Wie soll man mit den Euro-Gegnern umgehen?
Gibt es eine Chance zur konstruktiven Debatte mit den euroskeptischen Abgeordneten von FPÖ, Front National, der UK Independence Party (UKIP), der Alternative für Deutschland ( AfD) usw.? Oder bleibt den pro-europäischen Gruppen oft nicht viel mehr, als sie links liegen zu lassen?
Wie tief die Kluft hier teilweise ist, zeigte sich schon bei der Angelobung in Straßburg: Abgeordnete von UKIP & Co. drehten sich demonstrativ weg, als von einem Orchester im Plenarsaal die Europa-Hymne gespielt wurde; andere, u.a. von Front National und FPÖ, blieben sitzen. Er stehe nur für die österreichische Hymne auf, meinte FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky. Gibt es da überhaupt eine Chance auf eine Basis, einen minimalen gemeinsamen Grundkonsens über die EU?
Zurück in Brüssel wurden diese Woche die Vorsitzenden der einzelnen Ausschüsse und ihre Stellvertreter gewählt. Das ist jeweils eine freie Abstimmung mit Mehrheitsentscheid, es hat sich aber eingebürgert, dass die Posten nach dem System des Belgiers Victor D'Hondt entsprechend der Anzahl der Abgeordneten jeder Fraktion vergeben werden.
D'Hondt sorgt für eine faire Verteilung und verhindert, dass - zum Beispiel - Sozial- und Christdemokraten, die gemeinsam mehr als 50 Prozent der Abgeordneten stellen, alle Posten untereinander aufteilen. Ziel ist es, dass auch die kleineren Fraktionen Posten bekommen und so die Vielfalt im EU-Parlament an den einflussreichen Stellen gewahrt bleibt.
Das funktioniert erfahrungsgemäß ganz gut - mit Ausnahmen. Weil jeder Posten einzeln abgestimmt wird, werden auch immer wieder Abgeordnete abgelehnt bzw. erhält eine Fraktion nicht den Job, der ihr laut D'Hondt zustehen würde.
Genau das ist diese Woche mehrmals passiert: Die italienische Abgeordnete Eleanora Evi von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung, die in einer Fraktion sitzt mit UKIP, wurde in geheimer Abstimmung als Vorsitzende des Petitionen-Ausschusses abgelehnt (statt ihr wurde die schwedische Liberale Cecilia Wikström gewählt), auch als Stellvertreterin fiel Evi durch.
Beatrix von Storch, Abgeordnete der AfD, die mit den britischen Konservativen in einer Fraktion ist, wurde - wegen ihres sehr konservativen Frauenbildes - als stellvertretende Vorsitzende des Frauenausschusses abgelehnt.
Und Storchs Parteichef Bernd Lucke wurde nicht, wie von seiner Fraktion vorgeschlagen, zum stellvertretenden Vorsitzenden des Wirtschafts- und Währungsausschusses gewählt. Lucke setzt sich bekanntlich für eine Auflösung des Euro-Raums in heutiger Form ein.
Über diesen Umgang mit den Euroskeptikern und -gegnern gehen in den pro-europäischen Fraktionen die Meinungen auseinander: Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, hält die Ablehnung von Lucke & Co. für einen Fehler: "Nicht, weil wir mit der AfD inhaltlich sympathisieren, sondern weil es ein Gebot der Fairness ist, sie an der Arbeit im EU-Parlament zu beteiligen. Wir müssen uns inhaltlich mit demokratischen Parteien wie der AfD auseinandersetzen." Auch die Grüne Margrete Auken hält diese Vorgangsweise für falsch: "Eine politische Gruppe vom Vorsitz eines Ausschusses auszuschließen, der ihr nach dem etablierten System der Verteilung zustehen würde, ist ein Schlag für den demokratischen Prozess im EU-Parlament", wird sie auf Euractiv.com zitiert.
Der österreichische Grüne Michel Reimon hält das System von D'Hondt zwar auch für "gut und fair", spricht sich aber in seinem Blog dafür aus, Grenzen zu ziehen - zum Beispiel bei Lucke: Der sei "ein radikaler Euro-Gegner, der den Währungsraum zerschlagen möchte" - und deswegen in wichtiger Position im Währungsausschuss ungeeignet: Die Fraktion der AfD, schreibt Reimon, "soll einen Stellvertretenden Vorsitzenden bekommen. Aber wir werden in diese sensible Position keinen wählen, vom dem wir realpolitische Sabotage und massiven Schaden erwarten."
Der Kompromiss: Lucke wurde nicht gewählt, die Wahl verschoben - damit seine Fraktion einen anderen Abgeordneten als stellvertretenden Vorsitzenden nominieren kann.
Ein Problem bleibt damit freilich ungelöst: Dass sich durch die Nicht-Wahl von Euroskeptikern deren euroskeptische Haltung ziemlich sicher weiter vertieft - und damit auch die Kluft zwischen den Fraktionen.
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