Eine echte Wackelkandidatin beim Hearing der Kommissare
Das Parlament sieht Juncker auch als "seinen" Kandidaten
In den kommenden zwei Wochen entscheidet sich, ob die nächste EU-Kommission auch tatsächlich so aussehen wird, wie sich ihr designierter Präsident Jean-Claude Juncker das vorstellt. Die 27 Kommissarskandidaten, auf die sich Juncker mit den nationalen Regierungen geeinigt hat, müssen nämlich noch vom EU-Parlament gewählt werden.
Ab Montag laufen im Parlament die Kommissars-Hearings (live zu sehen hier): Jeder Kandidat wird drei Stunden lang von den Abgeordneten aus dem Ausschuss bzw. den Ausschüssen befragt, die sich mit den Themen befassen, die das jeweilige Portfolio in der Kommission umfasst.
Spannend sind die Hearings, weil sie keine Formsache sind: Es ist gut möglich, dass Juncker sich danach noch einmal hinsetzen und ein, zwei, drei Kommissare austauschen muss, vielleicht auch ein paar Portfolios noch einmal neu vergeben.
Wechselspiel
Junckers Vorgänger Jose Manuel Barroso ist es 2004 und 2009 so ergangen: Barroso musste 2004 den Italiener Buttiglione austauschen, nachdem der mit seinen erzkonservativen Ansichten zur Rolle der Frau und zur Homosexualität bei den Abgeordneten durchgefallen war - Buttiglione hätte Justiz- und Innenkommissar werden sollen. Auch die Lettin Udre, eingeplant als Kommissarin für Steuern und Zölle, musste ausgewechselt werden - sie stand wegen teurer Dienstreisen in der Kritik.
2009 gab es Widerstand gegen die Bulgarin Schelewa - die EU-Mandatare hatten Bedenken zu ihrer Kompetenz und zu einigen unklaren Privatgeschäften. Auch Schelewa wurde ausgetauscht.
Abgestimmt wird im EU-Parlament zwar über die Kommission als Team - die Abgeordneten können nur zur ganzen Juncker-Mannschaft "Ja" oder "Nein" sagen (planmäßig findet diese Abstimmung Ende Oktober in Straßburg statt). Nach den Hearings gibt es von den jeweiligen Ausschüssen aber Empfehlungen über die einzelnen Kommissare. Die Fraktionschefs im Parlament werden dann mit Juncker Klartext reden, ob sein Team in dieser Form eine Mehrheit hat oder nicht.
Wackelkandidaten
Vor den Hearings muss sich Juncker um diese Wackelkandidaten Sorgen machen:
- Alenka Bratusek hat sich quasi selbst nominiert, als sie noch Sloweniens Regierungschefin war; mittlerweile gibt es eine neue Regierung, die Bratuseks Nominierung gerne zurückziehen würde. An dem Nominierungsprozess gibt es im EU-Parlament Kritik; auch Bratuseks Bilanz als Regierungschefin wird als eher mager angesehen. Wackelfaktor: hoch. Bratusek fehlt die Reputation, die Unterstützung ihrer eigenen Regierung - und als Liberale die Unterstützung einer der beiden großen Fraktionen im EU-Parlament.
- Miguel Arias Canete eilt in Brüssel ein schlechter Ruf voraus: Er hat in der Vergangenheit mit frauenfeindlichen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht - ein Thema, bei dem die Fraktionen im Parlament oft Nulltoleranz und Zusammenhalt zeigen. Außerdem werden ihm zu enge Verbindungen zur Energie- und Öl-Lobby nachgesagt - keine guten Voraussetzungen für einen neuen Klima- und Energie-Kommissar. Wackelfaktor: mittel. Die "Große Koalition" aus Sozialdemokraten und Europäischer Volkspartei dürfte Canete unterstützen, nachdem er seine Öl-Aktien mittlerweile verkauft hat. Wenn er es schafft, sich glaubwürdig von seinen früheren sexistischen Aussagen zu distanzieren, sollte er durchkommen - wenn nicht, wird es knapp.
- Jonathan Hill war bei der Vorstellung der Juncker-Kommission eine der Überraschungen: Dass ein britischer Euroskeptiker das heikle Portfolio des Finanz-Kommissars erhält, war nicht unbedingt zu erwarten. Wackelfaktor: niedrig. Nachdem die englischen Tories im EU-Parlament in der EKR-Fraktion sitzen, hat auch Hill keine der beiden großen Fraktionen hinter sich. Er hat aber bereits eine "Goodwill-Tour" bei einigen einflussreichen Abgeordneten hinter sich - und danach hat es positive Signale für eine Unterstützung Hills gegeben. In Parlamentskreisen heißt es, Hill müsste sich "schon besonders blöd anstellen", damit das Parlament eine Auseinandersetzung mit dem britischen Premier David Cameron eingeht. Update (26.9., 10:15 Uhr): Wie die Financial Times berichtet, will Juncker Hill nach heftiger Kritik aus dem Parlament den Bereich der Banker-Boni entziehen (siehe Artikel hier).
Insgesamt dürfte eine Rolle spielen, dass das Parlament Juncker nicht nachhaltig schaden wollen wird - schließlich haben sich die Abgeordneten nach der EU-Wahl für Juncker stark gemacht, um durchzuboxen, dass einer der beiden EU-weiten Spitzenkandidaten (Juncker oder Martin Schulz) nächster Kommissionschef wird. In Summe spricht einiges dafür, dass - ordentliche Vorstellungen bei den Hearings vorausgesetzt - die meisten Kandidaten problemlos durchkommen, Canete und Hill trotz Bedenken. Bratusek sollte sich allerdings nicht allzu sicher fühlen: Sie wäre - siehe oben - am Leichtesten auszutauschen; mit ihrer Auswechslung würde das Parlament Juncker kaum schaden, außer Bratusek wohl niemanden vergrämen - und sich den Vorwurf ersparen, man habe alle Kommissare einfach durchgewunken.
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