Das Sorgenkind übernimmt den Vorsitz
Athen kann in Brüssel nur positiv überraschen.
Kennen Sie Athanasios Tsaftaris? Nein? Dann vielleicht Dimitris Avramopoulos? Auch nicht? Sie werden in den kommenden sechs Monaten noch von den beiden hören, besser gesagt: Wenn Sie je von den beiden hören werden, dann in den kommenden sechs Monaten.
Tsaftaris ist griechischer Landwirtschaftsminister, Avramopoulos Verteidigungsminister und mit der griechischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2014 werden beide ein wenig ins europäische Rampenlicht rücken – so wie überhaupt Griechenland sehr präsent sein wird.
Anlass genug, System, Sinn und Zweck der EU-Ratspräsidentschaft unter die Lupe zu nehmen.
Zwei Länder pro Jahr
Alle sechs Monate übernimmt ein anderes Land den EU-Ratsvorsitz. Zuletzt hatte Litauen diese Rolle inne, jetzt Griechenland, ab Juli ist dann Italien an der Reihe (Österreich war zuletzt 2006 und kommt planmäßig 2019 wieder dran). Das heißt, dass die Fachminister aus dem jeweiligen Land „ihrem“ Ministerrat vorsitzen: Herr Tsaftaris wird also die Treffen der Landwirtschaftminister leiten, Herr Avramopoulos jene der Verteidigungsminister.
Ausnahmen sind der Europäische Rat, also das Zusammenkommen von Staats- und Regierungschefs, und der Außenministerrat: Ersterer wird seit 2009 vom Ratspräsidenten, derzeit Herman Van Rompuy, geleitet, zweiterer von der EU-Außenbeauftragten, derzeit Catherine Ashton.
Was eine gute Präsidentschaft ausmacht
In der Planung und Vorbereitung der Ministertreffen kann eine Präsidentschaft vieles richtig oder falsch machen: Werden heikle Themen verhandelt, geht es um schwierige Kompromisse, dann liegt es oft an der Zusammenstellung der Tagesordnung und am Verhandlungsgeschick der Präsidentschaft, ob eine Einigung zu Stande kommt oder nicht. Das gilt auch für die sogenannten Triloge, die Verhandlungen zwischen Rat (= Mitgliedsstaaten), Kommission und EU-Parlament.
Auf die Griechen kommt da u.a. der Abschluss der Bankenunion zu – der letzte große Brocken vor der EU-Wahl Ende Mai. „Entscheidend ist neben der Verhandlungskunst auch die inhaltliche Vorbereitung“, sagt ein erfahrener Diplomat. „Eine gute Präsidentschaft erkennt man auch daran, ob sie von Anfang an tief in den wichtigen Themen drin ist und so weiß, welche Hürden es gibt, welche Kompromissvorschläge man machen könnte.“
Chance, Schwerpunkte zu setzen
Für die Länder ist die Ratspräsidentschaft eine Chance, sich einen guten Namen zu erarbeiten – und politische Schwerpunkte zu setzen. Litauen war es im zweiten Halbjahr 2013 beispielsweise ein großes Anliegen, das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine zu unterzeichnen (was dann wenige Tage vor einem lange geplanten Gipfel in Vilnius scheiterte).
Griechenland widerum will unter dem Motto "Hoffnung - Einsparungen, Wachstum und die Bekämpfung der illegalen Migration" innenpolitische und finanzielle Probleme auf die Tagesordnung in Brüssel bringen. Es soll also u.a. mehr gegen die (Jugend-)Arbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern unternommen werden.
Wobei es die Länder mit Themen, die ihnen am Herzen liegen, nicht übertreiben sollten, wie ein langjähriger österreichischer Verhandler sagt: „Eine gute Präsidentschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht zu allererst an ihre eigene Agenda denkt. Das gelingt den kleinen Ländern oft besser als den großen, weil die Kleinen ohnehin nicht davon ausgehen, alles durchzubringen.“
Niedrige Erwartungen an Athen
Die Griechen können mit ihrer Ratspräsidentschaft eigentlich nur positiv überraschen - die Erwartungen in Brüssel sind nicht allzu hoch. Dazu kommt, dass wegen der Europa-Wahl ohnehin einige Wochen kein "normaler" Betrieb in Brüssel und Straßburg herrscht.
Haben Sie übrigens schon etwas von Vigilijus Jukna und Juozas Olekas gehört? Wenn nicht, müssen Sie sich die Namen nicht merken: Es handelt sich um Litauens Minister für Landwirtschaft und Verteidigung – und von den beiden werden sie voraussichtlich länger nichts hören.
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