“Nach 18 Uhr ist hier Geisterstunde”, sagte der resigniert wirkende Akın Hasan. Hasan ist stellvertretender Geschäftsführer in der Kent-Filiale in Rudolfsheim-Fünfhaus. Seit der Einführung der 2-G-Regel würde man hier 80 Prozent weniger Gäste begrüßen, erklärte der Gastronom. “Es ist besser, wenn sie zusperren. Dann müssen wir nicht den ganzen Tag umsonst hier stehen. Es hat keinen Sinn”. Nur einen Tag nach diesen Worten stellte sich Kanzler Alexander Schallenberg vor die TV-Kameras und verkündete den bundesweiten Lockdown.
Hasan und die anderen 20 Mitarbeiter in der Filiale auf der Märzstraße werden vorerst 20 Tage nicht bangen Blickes Richtung Eingangstür schauen, ob nicht doch ein Gast in dem großflächigen Restaurant mit türkischen Spezialitäten Platz nimmt. Im Einsatz werden im Lockdown wenige Mitarbeiter bleiben und sich auf die bereits eingeübten Abhol- und Zustellservices umstellen müssen. Abermals.
"Zwei Kunden am Tag"
Akın Hasan ist nicht der einzige, der im Lockdown das kleinere Übel sieht. Ähnlich geht es Vanja Džombić. “Entweder sollen sie einen kompletten Lockdown machen, oder alles wieder komplett öffnen”, sagte auch sie Tag vor der Lockdown-Verkündung.
15 Jahr lang arbeitete sie als diplomierte Krankenschwester. Bis ihr der Job zu viel wurde und sie sich ein anderes Standbein aufbaute. Einen Friseursalon im 20. Bezirk. Seit sechs Jahren betreibt sie ihn nun. 16 Mitarbeiter beschäftigte sie vor Corona. Fünf hat sie mittlerweile kündigen müssen. "Vor der 2-G-Regel ging es einigermaßen wieder. Da waren wir sicher schon auf 60 Prozent der Kundschaft vor Corona-Zeiten. Aber seitdem die 2-G-Regelung in Kraft getreten ist, habe ich meist um die zwei Kunden am Tag", sagte sie in eher Mischung aus Wut und Sorge.
Die Fixkosten seien schließlich trotzdem zu decken. “Und ich weiß nicht, wie lange ich mit zwei Kunden am Tag weitermachen kann. In einem kompletten Lockdown kann sich um die Mitarbeiter zumindest der Staat kümmern", sagt die serbischstämmige Friseurin.
"Höchstens 200 Euro Tagesumsatz"
Ivan Martinov, der Besitzer des kleinen serbischen Restaurants "Grill Haus" auf der Äußeren Mariahilfer Straße, hatte schon vor der richtungsweisenden Pressekonferenz am Freitag vorgehabt, seinen Laden rund um Neujahr für einen Monat zu schließen. Das "Grill Haus" ist in der Mittagszeit voll besetzt. Normalerweise. In den vergangenen Tagen sieht es alles andere als gut aus für die Zukunft des kleinen Betriebs: "Zwei Drittel unserer Gäste sind weg, von knapp 1.000 Euro Tagesumsatz gibt es jetzt höchstens 200 Euro".
Seine Mitarbeiter sind alle geimpft, sagt der Besitzer. Er verstehe die Notwendigkeit der Maßnahmen, doch den „Regel-Dschungel“ kann er nicht nachvollziehen: "Auch unsere geimpften Gäste wissen nicht, ob sie jetzt einen Test haben müssen oder nicht". Das erst im Sommer vergangenen Jahres geöffnete Lokal befindet sich von Anfang an in einer schwierigen Situation. Die Lieferungen können auch nicht viel helfen, da man den Lieferdiensten etwa 15 Prozent des Preises zahlen muss, erklärt der Serbe.
Weihnachtsgeld bereitet Sorgenfalten
Auch Bahadir Turgay kennt die Gastronomie quasi nur mit Corona. Anfang 2019 eröffnete der ehemalige Profifußballer das Restaurant "Günay" in Wien Favoriten. Mit dem neuen Lebensabschnitt schlitterte er aber auch in eine noch immer andauernde Pandemie. "Zurzeit ist es schon echt hart. Man merkt deutlich, dass viel weniger Kunden kommen, vor allem am Abend", erzählte der Betreiber noch am Donnerstag. Aber mit dem Virus sei eben nicht zu spaßen.
Turgay versuchte im Sommer noch zur Impfbereitschaft beizutragen. Wer frisch geimpft das Günay besuchte, bekam eine Mahlzeit aufs Haus. Österreichs vergleichsweise niedrige Impfrate bereitet ihm noch immer Sorgen. Aber auch, wie er die Weihnachtsgelder seiner Mitarbeiter zahlen soll, wenn es so weitergeht.
Kontrolle kam acht Mal
Die Zukunft seines Betriebes macht Kenan Schafhausen-Jusić keine Sorgen - wenn der Lockdown nicht länger als einen Monat lang dauert. "Stundungen sind schön und gut, aber das Problem sind Lohnnebenkosten und die Krankenversicherung", erklärt Geschäftsführer des Restaurants "Galaxie", eines der bekanntesten in der Balkan-Szene.
Die Situation bei seinen Nachbarlokalen in der Märzstraße empfindet er als viel dramatischer: "Es gibt sicherlich 70 bis 80 Prozent Umsatzrückgang in den Cafés. Die Bauarbeiter - eigentlich Stammgäste - haben in der Lockdown-Zeit den günstigen und leckeren Kaffee von der Tankstelle entdeckt, jetzt brauchen sie keine Cafés mehr", erklärt der gebürtige Bosnier, dessen Lokal in der letzten Zeit ganze acht Mal auf 2-G kontrolliert wurde.
Schafhausen-Jusić arbeitet hier seit 18 Jahren und noch nie war die Situation so schlecht wie heuer: "Touristenmangel, Angst vor dem Virus und der 2-G-Kontrolle hat unseren Umsatz um 30 Prozent reduziert". Fast alle seiner 22 Angestellten sind geimpft: "Ich habe ihnen vor einiger Zeit gesagt: Entweder wir lassen uns alle impfen oder wir müssen bei Corona-Fällen zusperren".
"Kaffee trinken will niemand alleine"
Einen Gästerückgang verzeichnet in der 2-G-Zeit auch das "Tesla Coffee & Concept", eines der meistbesuchten Balkan-Lokale, das unweit des Westbahnhofs gelegen ist. Das erklärt Co-Besitzer Dragan Žuljević nicht nur mit den fehlenden ungeimpften Gästen: "Eine geimpfte Person muss jetzt ohne seinen ungeimpften Freund oder Angehörigen ins Lokal gehen. Mittagessen oder Kaffee trinken wollen die meisten nicht alleine, weshalb auch diese Gäste fehlen".
Tagsüber gibt es noch eine respektable Anzahl der Gäste, doch am Abend ähneln die Straßen laut Žuljević denen einer "Geisterstadt": "Wir bieten viermal Live-Musik im Lokal, doch am Abend gibt es bei weitem nicht so viele Gäste wie noch vor einigen Wochen. Das ist auch dem November geschuldet".
Vor dem Lockdown habe der 34-Jährige keine Angst. "Wir arbeiten gut und ordentlich, nach dem Gesetz und wir werden auch etwas vom Staat zurückbekommen. Auch unser Lieferdienst funktioniert einwandfrei", zeigt sich Žuljević zuversichtlich.
"In guten und in schlechten Zeiten"
Gusto. So in etwa könnte man den türkischen Begriff Merak deuten, der in der bosnischen Sprache gerne verwendet wird, um das Leben zu zelebrieren. Mirnel Sadović hat sein kleines Restaurant, in dem es Ćevapi nach Sarajevo-Art gibt, eben so benannt. Gusto hat der ehemalige Fußballprofi auf den Lockdown keinen, vorbereitet sei sein kleines Team aber schon darauf. "Wir haben vorhin darüber gesprochen. Der Stundenlohn wird dann leider gekürzt und wir setzen alles auf die Zustellung bzw. Abholservice".
Man stecke schließlich seit gefühlt zwei Jahren in diesem Wahnsinn drinnen und sei schon eingespielt. Die staatlichen Hilfen hätten in den vorherigen Lockdowns viel geholfen, auch wenn sie lange auf sich warten ließen. "Das ist schon ein Luxus, den wir in diesem Land haben", ist sich Sadović bewusst. Er sei einer, der alles daran setzt, sein Team zusammenzuhalten, "in guten und in schlechten Zeiten". Heutzutage sei es unmöglich, einen guten Mitarbeiter zu finden, kritisiert er die Arbeitsmoral in Österreich. Durch die Pandemie wird sie wohl nicht steigen.
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