Schon länger wurde darüber spekuliert. Bei einem Treffen mit Jugendlichen sprach es der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan erstmals aus: Am 14. Mai, knapp einen Monat früher als geplant, sollen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. „Das sind keine vorgezogenen Wahlen. Sondern einfach früher stattfindende“, betonte er. Vorgezogene Wahlen können in der Türkei entweder mit 60 Prozent der Abgeordnetenstimmen oder per Dekret durch den Präsidenten angeordnet werden. Das geänderte Datum sei eine reine Adaptierung, begründete Erdoğan. Damit wolle man die Schulfeiern sowie die Schwarztee- und Haselnussernte nicht beeinträchtigen, hieß es.
"Wahlzuckerl"
Tatsächlich dürfte aber ein politisches Kalkül dahinterstecken: Die kommenden Wahlen sind sehr spannungsgeladen, Erdoğan selbst bezeichnete sie sogar als „Schicksalswahlen“. Er war 2003 zum Ministerpräsidenten gewählt worden, seit 2014 ist er Staatspräsident. Doch seine Wiederwahl war noch nie so unsicher wie jetzt. Vor allem die schlechte Wirtschaftslage (zuletzt lag die Inflation bei 65 Prozent), ließ Erdoğan und seine Regierung in ein Umfragetief sinken.
Um diesem gegenzusteuern, wurde in den vergangenen Wochen der Mindestlohn um 55 Prozent erhöht. Außerdem kündigte Erdoğan an, die Altersgrenze für rund zwei Millionen Beschäftigte aufzuheben, damit diese früher in Pension gehen können. Diese „Wahlzuckerl“ sind laut Opposition auch Mitgrund für die vorgezogenen Wahlen: Sie sollen stattfinden, solange die Wirkung noch präsent ist.
Druck auf Opposition
Ein anderer Grund dürfte sein, dass Erdoğan die Opposition unter Druck setzen will. Ein Teil der Opposition hat sich zu einem Sechser-Bündnis zusammengeschlossen, zu dem unter anderem die größte Oppositionspartei CHP (die säkulare Republikanische Volkspartei) und die nationalkonservative Iyi-Partei („Gute Partei“) gehören. Ein weiteres Bündnis bildet die pro-kurdische Oppositionspartei HDP (Demokratische Partei der Völker) mit kleineren Parteien. Von beiden gibt es noch keinen offiziellen Kandidaten. Für den amtierenden Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP), der als möglicher Spitzenkandidat gilt, steht – noch nicht rechtskräftig – ein Politikverbot sowie eine Haftstrafe im Raum. Viele sehen darin ein Polit-Urteil.
Ähnliche Hintergründe dürften auch für die Spannungen zwischen der Türkei und Schweden sorgen. Seit Monaten blockiert die Türkei, gemeinsam mit Ungarn, den NATO-Beitritt Schwedens. Für die jüngste Eskalation sorgten Rechtsextreme, die vor der türkischen Botschaft in Stockholm den Koran verbrannten. „Wenn sie nicht die Religion der Türkischen Republik oder der Muslime respektieren, werden sie von unserer Seite keine Unterstützung erhalten“, polterte Erdoğan und versucht so beim Wahlvolk zu punkten.
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