Asylpolitik: "Österreich ist in einem menschenrechtlichen Schmuddeleck"

Asylpolitik: "Österreich ist in einem menschenrechtlichen Schmuddeleck"
Anlässlich des heutigen Weltflüchtlingstages übten mehrere NGOs scharfe Kritik an Österreichs Migrations- und Asylpolitik.

Als gescheitert beschreibt Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination die österreichische Asyl- und Migrationspolitik der letzten Jahre. "Die Placebo-Politik der 'fremdenrechtlichen Knaller' hat Österreich ins menschenrechtliche Schmuddeleck gestellt", sagt er anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni.

Zu lange hätten Botschaften wie „2015 dürfe sich nicht wiederholen, die Balkanroute müsse geschlossen werden und Pull-Faktoren reduziert werden, die Lufthoheit im Diskurs“, erinnert er. "Mit dem russischen Angriffskrieg ist da einiges zerbröselt: Wir haben Mitte des Jahres 2022 mehr Schutzsuchende als am Ende des Jahres 2015", so Gahleitner-Gertz.

Zwei Drittel der Ukrainer:innen privat untergebracht

Mit Stand Anfang Juni seien rund 85.000 Menschen in der Grundversorgung, 50 bis 55.000 davon Vertriebene aus der Ukraine. Auf die Zahlen können aber noch 20 Prozent an Menschen aus der Ukraine dazu gerechnet werden, die noch nicht in der Grundversorgung sind, so Gahleitner-Gertz. Zwei Drittel der schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine (80 Prozent davon Frauen, Kinder und Jugendliche) sind privat untergebracht.

Dass die Abläufe bei der Grundversorgung als auch bei der Unterstützung der Zivilgesellschaft viel zu langsam und unzureichend sind, und die Behörden massiv überfordert sind, sind die zentralen Kritikpunkte auch von den weiteren Anwesenden.

"Während die Politik den Eindruck vermittelt, dass die Versorgung von Ukrainer*innen in Österreich bestens gelingt, zeigt sich in der Realität ein ganz anderes Bild. Die politische Entscheidung, aus der Ukraine geflüchteten Menschen nur Grundversorgung zu gewähren und den Zugang zu Sozialleistungen zu verwehren, führt zu einer immensen materiellen Not. Verzweifelte Mütter, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen und Familien, die von Hilfsorganisation zu Hilfsorganisation ziehen, um sich mit dem nötigsten zu versorgen – das ist die traurige Realität tausender ukrainischer Familien in Österreich", sagt Manuela Ertl vom Ankunftszentrum "Train of Hope“.

Das Resümee der letzten dreieinhalb Monate sei ernüchternd. "Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft wäre die Situation der Ukrainer*innen in Österreich noch weitaus prekärer. Wenn es darum geht, das Versagen der zuständigen Stellen zu kompensieren, kommt zivilgesellschaftliches Engagement gerade recht. Doch weder Politik noch Verwaltung haben in den letzten sieben Jahren gelernt, die Potenziale der Zivilgesellschaft zu nutzen und deren Bedeutung anzuerkennen", betont Ertl.

Pushbacks, Folter, Misshandlungen

An und über Österreichs Grenzen gibt auch es scharfe Kritik von den Organisationen. „Seit Jahren dokumentiert Amnesty International an den Land- und Seegrenzen der EU-Länder illegale Push Backs, Folter und Misshandlungen statt. Vor kurzem hat die britische Regierung versucht, irregulär eingereiste Asylsuchende im Gegenzug für Zahlungen nach Ruanda auszufliegen“, kritisiert Anne Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Im Mai wurde höchstgerichtlich bestätigt, dass Push-Backs in Österreich stattfinden und "teilweise sogar methodenhafte Anwendung" haben. Organisationen gehen sogar von einer illegalen „Push-back-Route“ aus. "Seit 2017 beteiligt sich Österreich gar nicht mehr an Resettlement-Programmen. Wenn Pläne zur Auslagerung von Asylverfahren Teil der europäischen Flüchtlingspolitik werden, läuft die EU und auch Österreich Gefahr, gerade selbst das Fundament, auf dem sie gebaut sind, nämlich Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, zu untergraben", betont Schlack.

Am Beispiel der Situation der Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern werde, dass es auch anders gehen könnte, findet Cornelius Obonya von „Courage – Mut zur Menschlichkeit“: „Österreich hätte es in der Hand, einen Beitrag zu leisten, um diese unhaltbaren Zustände zu verbessern. Rund 5.000 Menschen wurden seit 2020 im Rahmen eines freiwilligen Relocation-Programms in anderen europäischen Ländern aufgenommen. Österreich hat sich nicht daran beteiligt. Diese Politik ist ein Teil des Problems und nicht der Lösung. Sie untergräbt die „Europäische Solidarität“. Sie missachtet die Menschenrechte. Und sie muss daher beendet werden.“

Für Obonya ist der Umgang mit flüchtenden Menschen an der Außengrenze der EU auch Anlass, an die Geschichte Österreichs zu erinnern. "Gerade hierzulande sollten wir eigentlich gelernt haben, dass sich das Vergessen und Verdrängen, oder präziser das Verleugnen solcher Missstände früher oder später rächt."

Offensive Migrationspolitik

Von einem Totalversagen spricht auch Michael Landau, Direktor der Caritas Wien. Es sei endlich Zeit, über eine offene Migrationspolitik zu diskutieren, statt ständig nur Problembewirtschaftung zu betreiben. Vorschläge, wie das besser laufen könnte, legen die Organisationen in zehn Punkten fest.

Dieser beinhaltet etwa die Neueinstellung der Grundversorgung in Österreich, mehr Anerkennung der Engagements der Zivilgesellschaften sowie stärkerer, struktureller Unterstützung bzw. besserer Zugang zu Deutschkursen für Menschen aus der Ukraine. Hinzu kommt ein Fokus auf asylberechtigte Frauen. Auch wird ein Resettlement und Recocaltion gefordert. Es sollen sichere Fluchtwege geschafft, sowie Menschen, die etwa in Griechenland gestrandet sind, solidarisch in der EU verteilt werden. Weitere Punkte enthalten Maßnahmen gegen illegale Pushbacks oder die Erkenntnisse einer Kindeswohlkommission auszuweiten.

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