Staatenlos in Wien - wegen eines Kriegs vor 74 Jahren

Ein Musterspiel, einer, der alles so gemacht hat, wie es erwartet wird: So könnte man Ali Anwar bezeichnen. Der 43-Jährige kam im Oktober 2014 nach Österreich. Am 1. Jänner 2015 hatte er seinen ersten Termin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Noch an demselben Tag wurde ihm ein positiver Asylbescheid ausgestellt. Denn Anwars Geschichte ließ keinen Zweifel daran, dass er in seiner ursprünglichen Heimat nicht mehr leben konnte.
Anwar ließ bei seiner Flucht aus Damaskus alles zurück. In der syrischen Hauptstadt hatte er zwei Uniabschlüsse, unterrichte Arabisch und war Direktor eines Gymnasiums. Er lebte in einer Eigentumswohnung und war zufrieden mit seinem Leben. „Wenn man es mit den Verhältnissen hier vergleicht, war es so als würde ich 5.000 Euro im Monat verdienen“, sagt er. Doch dann kam der Krieg und Syrien wurde für Millionen von Menschen zur Gefahrenzone.

Alles von vorne
In Österreich musste Anwar komplett neu anfangen. Deutschlernen, sich mit seiner Familie neu orientieren, eine Ausbildung machen und auch einen Job finden. Tatsächlich schaffte er das alles auch innerhalb weniger Jahre. Binnen neun Monaten hatte Anwar bereits Deutsch auf B2-Niveau. Währenddessen begann auch er auch schon seine Ausbildung zum Freizeitpädagogen. Nach zwölf Monaten in Österreich hatte Anwar bereits eine Stelle bei den Kinderfreunden – zuerst als Praktikant und dann mit einem befristeten Vertrag. Dort arbeitet er bis heute. Dieses Jahr durfte er sogar den Jahresbericht schreiben. Stolz zeigt er ihn. „Kein einziger Fehler wurde in dem Bericht gefunden“, prahlt er. Und sogar an das Gendern habe er gedacht.
Anwar geht es gut in Österreich, könnte man meinen. Auch seinen Kindern. Alle drei sind Musterschüler. Doch eine wesentliche Kleinigkeit gibt es dann doch, welche das Leben der Familie einschränkt. Anwar, und durch ihn auch die Kinder, sind staatenlos.
In Syrien war Anwar palästinischer Staatsbürger. Seine Eltern flohen als palästinensische Flüchtlinge 1948 nach Syrien. Dort ist eine palästinensische Staatsbürgerschaft anerkannt. Österreich erkennt Palästina jedoch nicht als Staat an. Somit wurden Anwar und seine Kinder in Österreich zu staatenlosen Menschen.
Verstecktes Problem
Wie viele Menschen in Österreich staatenlos sind, lässt sich nicht eindeutig belegen. Insgesamt wurden 2021 knapp 18.000 Personen von der Statistik Austria als staatenlos oder mit ungeklärter oder unbekannter Staatsbürgerschaft geführt. Rund 400 Kinder wurden in den letzten 20 Jahren in Österreich ohne Staatsangehörigkeit geboren. Als "verstecktes Problem" bezeichnet die UNHCR diesen Zustand in einem Bericht aus dem Jahr 2017. “Die erleichterte Einbürgerung für Staatenlose stellt eine dauerhafte Lösung für Staatenlosigkeit dar. Derzeit werden Staatenlose in dieser Hinsicht jedoch wie andere Nicht-Staatsbürger behandelt, obwohl Staatenlose sich im Gegensatz zu Ausländern nicht auf den Schutz eines anderen Staates berufen können und gemäß dem Übereinkommen von 1954 ihre Einbürgerung so weit wie möglich erleichtert werden soll”, wird darin weiter festgehalten. Das angesprochene Übereinkommen, von Österreich auch unterzeichnet, ist ein Bekenntnis zur Verminderung von Staatenlosigkeit.
Staatenlosen Menschen fehlt in vielerlei Hinsichten ein Schutz. Es kann heißen kein Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder legaler Beschäftigung zu haben. Sie kann wichtige Rechte behindern, etwa Freizügigkeit, die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben, zu wählen, ein Bankkonto zu eröffnen oder sogar zu heiraten.
Für seine Kinder
Für Anwar heißt es vor allem, dass sein Leben und das seiner Kinder erheblich kompliziert ist. “Ich würde gerne die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen, aber dafür habe bis vor kurzem zu wenig verdient. In meinem Bereich gibt es leider fast ausschließlich Teilzeit-Jobs. Ich habe lange dafür kämpfen müssen, dass meine Stunden aufgestockt werden.”, erklärt Anwar seine verzwickte Situation. Nun kann er sie in frühestens drei Jahren beantragen.
Ihm wäre das ganze ja egal, aber vor allem für seine Kinder möchte er es anders haben.
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