Nach Taliban-Übernahme: "Wir sind wieder 20 Jahre zurückgefallen"

Nach Taliban-Übernahme: "Wir sind wieder 20 Jahre zurückgefallen"
Journalistin und gebürtige Afghanin Tanya Kayhan über die aktuelle Situation in ihrer einstigen Heimat.

Tanya Kayhan ist gebürtige Afghanin. Bis 2011 lebte sie noch dort und arbeite als Journalistin, zuletzt etwa für den TV-Sender Voice of America. Dort machte sie Berichte über die Taliban, Opium und Korruption – und trug dabei kein Kopftuch. Das wurde für Kayhan mit der Zeit immer schwieriger, weshalb sie 2011 nach Österreich flüchtete.

Mittlerweile kann Kayhan auch in Wien dem Journalismus nachgehen. Auf OKTO TV moderiert und gestaltet sie die Sendung “OXUS TV”. Die Sendereihe ist das erste persische Fernsehen für geflüchtete Menschen aus Afghanistan in Österreich. Für W24 ist sie auch tätig.  Kayhan ist zudem Obfrau des Interkulturellen Entwicklungszentrum, einem Verein für geflüchtete Menschen und Asylwerber:innen. Nach der Übernahme der Taliban startete sie eine Crowdfunding-Kampagne, um afghanische Journalisten zu unterstützen.

Doch wie sieht es knapp ein Jahr nach der Machtübernahme in Afghanistan aus? Unter anderem darüber sprach die Journalistin mit dem KURIER.

Nach Taliban-Übernahme: "Wir sind wieder 20 Jahre zurückgefallen"

KURIER: Vor rund einem Jahr wurden die Taliban zum Machtinhaber von Afghanistan. Anfangs war die Solidarität groß, mittlerweile hört man wenig über Afghanistan. Warum?

Tanya Kayhan: Vor allem mit dem Krieg in der Ukraine hat sich der Fokus verschoben. Ich glaube, dass die Ukraine eine größere Verbindung mit Europa hat. Deswegen, glaube ich, ist es wichtiger für europäische Medien, darüber zu berichten. Die andere Seite ist die politische Ebene. 

Ist Afghanistan für Europa zu weit weg?

Vor 20 Jahren war Afghanistan sehr wichtig für Europa und auch die USA. Das hat sich mit der Zeit geändert. Es herrscht seit über vier Dekaden Krieg. Afghanistan ist wie ein Schlachtfeld. Und der Krieg ist auch nur ein Problem. Frauen zum Beispiel werden mit vielen Problemen konfrontiert, Rechte von Journalisten sowie Aktivisten komplett eingeschränkt. Auch Minderheiten werden unterdrückt. 

Wie erleben Sie die Entwicklung seit der Machtübernahme?

Die Situation ist viel schlimmer geworden. Anfangs versprachen die Taliban noch, dass sie Menschen nicht töten und festnehmen würden.  Aber schon nach ein paar Monaten begannen sie damit. Sie haben auch versprochen, dass sie Frauenrechte nicht weiter einschränken werden, Mädchen in die Schule gehen werden dürfen. Nun dürfen aber Mädchen ab sieben Jahren nicht mehr die Schule besuchen. Zudem begannen nach ein paar Monaten viele Hausdurchsuchungen.

Nutzen es die Taliban aus, dass die internationale Aufmerksamkeit zurzeit nicht auf Afghanistan liegt?

Meine Beobachtung ist: Je ernster die internationale Gemeinschaft die Taliban nimmt, desto selbstbewusster werden sie. Nach den Konferenzen in Oslo und Genf etwa gab es mehr Festnahmen und Gewalt.

Gibt es in Afghanistan noch Widerstand gegen die Taliban?

Viele Menschen und Frauen, die Widerstand geleistet haben oder demonstriert haben, wurden ins Gefängnis gebracht. Manche wurden getötet. Widerstand der Zivilgesellschaft ist kaum noch sichtbar. Man hört aber noch von Guerillakriegen in Regionen wie Andarab, Panjshir oder Takhar 

Sie sind selbst wegen der Einschränkungen geflohen. Wie geht es dir mit den Entwicklungen des vergangenen Jahres?

Nicht gut. Ich habe nicht gedacht, dass die Taliban wieder an die Macht kommen. Europa, die NATO, die USA und die internationale Gemeinschaft haben doch viel in Afghanistan investiert. Aber nun sind wir wieder 20 Jahre zurückgefallen. 

Wie geht die afghanische Community in Österreich und Europa mit dem Thema um?

Wir sehen täglich Nachrichten auf Sozialen Medien - hauptsächlich negative. Das ist sehr belastend für viele. Wenn wir eine Community-Veranstaltung haben, ist es immer ein Thema. Es wird viel über die Situation in Afghanistan gesprochen. Aber es gibt unterschiedliche Richtungen: Zum Beispiel schwenkte ein Mann die Taliban-Flagge vor der afghanischen Botschaft in London. Oder Frauen, die bisher kein Kopftuch trugen, begannen eines zu tragen. Es gibt manche gemeinnützige Vereine, die inzwischen Lobby für die Taliban zu machen.

Aus Druck und Angst? Oder ist es ideologisch? 

Die Machtübernahme durch die Taliban hat die versteckte fundamentalistische Ideologie in Europa sichtbar gemacht. Die, die bisher nicht ihr wahres Gesicht zeigen konnten, sind dadurch bestärkt worden.

Wie kann man Menschen in Afghanistan derzeit am besten helfen?

Ich wünsche mir, dass österreichische Medien über diejenigen Themen berichten, die afghanische Medien nicht berichten können. Zum Beispiel über die Rechte der Frauen oder die Tötungen und Festnahmen. Wir brauchen Dokumentationen über all diese Verbrechen. Auch würde ich mir hier in Österreich mehr Unterstützung für Vereine, die sich für Frauenrechte einsetzen, wünschen. Damit könnten wir ein mehr Aktionen machen. Wichtig ist es auch, dass österreichische Politiker im EU-Parlament versuchen, Druck auf die Taliban auszuüben, Frauen- und Menschenrechte in Afghanistan zu respektieren sowie Gewalt und Einschränkungen zu verhindern. 

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