Kosovo-Serbien-Verhandlungen: "Am Status Quo wird sich nicht viel ändern"
Der europäische Plan, der über die Zukunft des Kosovo entscheiden soll, liegt seit Monaten auf dem Tisch. Diesem wurde letzte Woche auch "zugestimmt", unterschrieben wurde jedoch nichts. Niemandem ist wirklich klar, wann und ob es zu einer Umsetzung dessen kommt. Der kosovarische Premier Albin Kurti hat sich klar geäußert: Er sei bereit, das Papier zu unterschreiben. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić zögert aber.
Der Verhandlungstisch selbst gab ein skurriles Bild ab. Auf der einen Seite saß Vučić als Vertreter eines Landes, das den Kosovo nicht anerkennt. Gegenüber von ihm war Kurti, der Vertreter der einstigen serbischen Provinz, die in den letzten Monaten viel Druck standgehalten hat. Zwischen den beiden standen Coca-Cola-Dosen, mit Wasser gefüllte Karaffen und viel heiße Luft.
Die Vergangenheit der beiden Regierungschefs könnte unterschiedlicher nicht sein. Während des Kosovokriegs saß Vučić als Propagandaminister in der Regierung von Kriegsverbrecher Slobodan Milošević. Kurti musste derweil für die von ihm organisierten Proteste gegen Milošević eine Haftstrafe in Serbien absitzen.
„Durchbruch“
Trotzdem gelang bei diesen Verhandlungen anscheinend etwas, was viele Experten als Durchbruch bezeichnen. "Es freut mich, verkünden zu können, dass keine weiteren Diskussionen nötig sind", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am vergangenen Montag. Wenn aber auch keine weiteren Diskussionen notwendig sind, wird es eine zweite Verhandlungsrunde im März geben. Borrell betonte, dass die EU weiterhin Pendeldiplomatie betreibe. Das bedeutet, dass die Diplomaten aus Brüssel weiter im intensiven Austausch mit Belgrad und Pristina stehen und vermitteln wollen.
Der Plan geht auf einen deutsch-französischen Vorschlag zurück. Ihm wurde bei dem letzten EU-Gipfel im April von allen 27 Mitgliedstaaten zugestimmt, auch wenn fünf Staaten die kosovarische Unabhängigkeit weiterhin nicht anerkennen. Getauft wurde er zuerst als "EU-Plan", nun ist aber offiziell die Rede von einer "Einigung auf den Weg zu einer Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien".
Der Plan für eine normalere Beziehung zwischen den beiden Ländern sieht die Anerkennung der gegenseitigen nationalen Symbole und Dokumente vor. Dazu gehören die KfZ-Nummernschilder, Reisepässe und Diplome. In Pristina und Belgrad sollen auch wechselseitig ständige Missionen eingerichtet werden.
Eine Grundvoraussetzung ist auch "die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und Souveränität" - ein wichtiger Punkt, denn Serbien erhebt noch immer einen territorialen Anspruch auf das Gebiet des Kosovo und weigert sich, den Staat anzuerkennen. Ein weiterer heikler Punkt des Plans ist die Bildung eines Verbands der serbischen Gemeinden.
Die Umsetzung dieses Gemeindeverbandes wurde schon 2013 vereinbart, aber nie umgesetzt. Teile der Vereinbarung wurden damals vom kosovarischen Verfassungsgerichtshof für rechtswidrig erklärt. Vučić pocht auf dessen Errichtung und macht den weiteren Fortschritt der Verhandlungen davon abhängig.
Serbien darf nach der Vereinbarung auch nicht den Weg des Kosovo in internationale Organisationen blockieren. Eine UN-Mitgliedschaft bleibt trotzdem unwahrscheinlich, weil das die Vetomächte China und Russland weiterhin blockieren würden.
Keine UN-Mitgliedschaft
Für Kosovo wird es auf eine De-facto-Anerkennung hinauslaufen. Vergleichbar wäre dies mit dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag zwischen der BRD und DDR aus dem Jahr 1972. Nach dem Vertrag konnte die DDR UN-Mitglied werden, obwohl der letzte formale Schritt der Anerkennung nie gemacht wurde. Viele sahen das als großen Durchbruch.
Auch für Vučić ist es ein Tabu-Thema. "Wir können über alles außer Kosovos Unabhängigkeit reden", sagte er.
"Es ist klar, dass Serbien noch nicht bereit ist, den Kosovo vollständig anzuerkennen. Das entscheidende ist aber, was es für Kosovo im internationalen Kontext bedeutet", sagt Florian Bieber von der Universität Graz. Der Experte meint, dass die Anerkennung durch andere Staaten jenseits Serbiens viel bedeutender wäre.
Viel Druck
Vučić steht seit Monaten wegen der Verhandlungen zur Normalisierung der Verhältnisse zum Kosovo unter starkem Druck - sowohl rechtsextreme Gruppierungen, als auch Oppositionspolitiker und die serbisch-orthodoxe Kirche bezichtigen ihn des Verrats. Jeden Freitag werden nun auch landesweite Gebete für das Kosovo abgehalten. Diese sollen daran erinnern, dass Kosovo weiterhin zu Serbien gehöre.
Der EU-Abgeordnete Thijs Reuten kritisierte das Verhalten des serbischen Präsidenten und machte ihm klar, dass die EU kein "Bankomat" sei. Reuten bezieht sich auf die 600 Millionen Euro schwere Förderung der EU für Serbien. An demselben Tag, an dem diese Förderung bekanntgemacht wurde, hat Vučić ein 90-minütiges Interview im serbischen Staatsfernsehen gegeben.
Darin sorgte er für schräge Aussagen und viel Verwirrung. Statt auf die Fragen einzugehen, antwortete er nur zynisch oder schnitt ganz andere Themen an. Eines stellte er abermals klar: Die Unabhängigkeit des Kosovo ist für ihn eine "rote Linie", die er nicht überschreiten will. Viele Experten nennen es einen "politischen Selbstmord".
Nächste Verhandlungsrunde in Nordmazedonien
EU-Diplomaten sprachen nach der ersten Verhandlung in Brüssel von einem großen Erfolg. Experten sind anderer Meinung. Einen wirklichen Durchbruch sieht Bieber erst, wenn es zur Implementierung kommt. "Ohne ein Implementierungsdokument ist noch nichts entschieden. Hier fehlt ein entscheidender Baustein, um das umzusetzen", sagt der Experte.
Die nächsten Verhandlungen sollen am 18. März in Nordmazedonien stattfinden. Ob es auch bei der nächsten Runde zu großen Fortschritten kommt, bezweifelt Bieber. "Im Idealfall gibt es ein Abkommen, aber ich befürchte eher, dass es zu einem sehr kalten Frieden kommen wird. Man sollte jetzt zu glauben, dass es in der nahen Zukunft zu einem dramatischen Wechsel kommt. Am Status Quo wird sich nicht viel ändern".
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