Einer, zu dem man hinauf sah
Diesen Anschein machte er aber nicht erst seit dem Schlaganfall. Ivica Osim war schon immer ein mürrischer Mann. In (nicht nur) meiner Kindeserinnerung blieben TV-Bilder eines rauchenden, kamerascheuen Mannes, den die Journalistenfragen offensichtlich ziemlich nerven und der das Ende des obligatorischen Interviews nach dem Match nur so herbeisehnt.
Nein, ein Sympathieträger war Ivica Osim nicht. Was er aber zweifelsohne war: eine Respektsperson. Einer, zu dem man hinauf sah. Einer, dessen Meinung man nicht nur in Bezug auf Fußball gerne hörte. Einer, bei dem man sich einen guten Rat abholte.
Für die Menschen aus seiner Heimatstadt Sarajevo war "Schwabo" - diesen Spitznamen bekam der groß gewachsene Mittelfeldstratege wegen seiner blonden Haare und seiner deutschsprachigen Vorfahren bereits in der Jugend - mehr als das. "Ich bin ein Kind, das in der Nähe des Grbavica-Stadions (Grbavica lautet der Name der Spielstätte von Osims Jugendklub Željezničar, Anm.) aufgewachsen ist. Mein Vater hatte eine Jahreskarte, verbrachte die ganzen Wochenenden im Stadion, schaute sich sowohl Spiele als auch Trainings an ... Schwabo war unsere Mutter, aber auch Ziehmutter ... Ein Gigant", schrieb mir am Sonntag eine Freundin mit gebrochenem Herzen.
Ein denkwürdiger Rücktritt
Gebrochen war auch Osims Herz. Der letzte Trainer einer jugoslawischen Fußballnationalmannschaft war ein Jugoslawe durch und durch. Geboren als Kind bosnischer Kroaten heiratete er eine bosnische Muslima und bildete somit eine Ehe, die Jugoslawien-Gründer Josip Broz Tito in seinem Vielvölkerstaat sehr begrüßte. Die sogenannten "Mischehen", in denen sich Zugehörige verschiedener Ethnien das Ja sagten, waren Role Models, Beispiele dafür, dass die Liebe zwischen den Völkern möglich ist - trotz aller Differenzen. Diese konnten bis zum Anfang der 1990er Jahre unter der Oberfläche gehalten werden.
1991 fing der langsame Zerfall Jugoslawiens an. Spätestens 1992, mit dem Beginn des Krieges in dem inzwischen unabhängigen Bosnien-Herzegowinas starb das Land, das in seiner Blüte 22 Millionen Einwohner zählte. Mit Jugoslawien starb auch ein Stück von Ivica Osim. Der Mann, der eines der talentiertesten Nationalteams seiner Zeit zur Fußball-EM in Schweden hätte führen sollen, bewies Moral und erklärte bei einer denkwürdigen Pressekonferenz in Belgrad seinen Rücktritt als jugoslawischer Teamchef.
"Mein Rücktritt ist das Einzige, was ich für meine Stadt tun kann. Sie sollen sich erinnern, dass ich aus Sarajevo komme. Sie wissen, was dort passiert", sagte Osim unter Tränen, während auf seine Heimatstadt Sarajevo bereits die serbischen Granaten flogen. Darin lebten immer noch seine Frau und die drei gemeinsamen Kinder. Zweieinhalb Jahre sollte die Trennung zwischen Osim und dem Rest der Familie dauern.
Der Rücktritt im Video:
Sein geliebtes Sarajevo
In Folge sollte der "Strauß von Grbavica" - diesen Spitznamen verpassten ihm die jugoslawischen Medien, weil er mit dem Ball so gut umgehen konnte wie der Walzerkönig mit den Noten - noch einige Erfolge feiern. Noch 1992 heuerte er beim griechischen Riesen Panathinaikos Athen an, wo er zwei Titel holte. Anschließend machte er (bei allem Respekt für den SK Sturm Graz) aus einem mittelmäßigen österreichischen Klub einen Meister und Champions-League-Teilnehmer. Es folgte der Sprung nach Japan, wo er zuerst Mittelständer JEF United zum ersten Titel in der Klubgeschichte führte, später aber zum Teamchef avancierte.
Auch in Japan, wo er sich enormer Beliebtheit erfreute, die in einem Buch über seine Fußball-Weisheiten mündete, hatte er einmal eine denkwürdige Pressekonferenz abgehalten. Zuerst blieb er dem Elfmeterschießen im Viertelfinale der kontinentalen Asienmeisterschaften gegen Australien fern, um dann vor Medienleuten zu erklären: "Das Elferschießen wäre nicht gut für mein Herz gewesen. Ich möchte nicht auf der Bank der japanischen Nationalmannschaft sterben, sondern in meiner Heimatstadt Sarajevo".
Am Ende sollte es dann doch nicht sein geliebtes Sarajevo werden, sondern Graz. Ivica Osim starb fünf Tage vor seinem 81. Geburtstag. An einem Tag, der jugoslawischer nicht sein könnte: Dem 1. Mai, den alle Ex-Jugoslawen aus einer Nostalgie heraus, groß feiern.
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