Gerade als Frau über solche Themen, oder auch Sex und Liebe zu reden, ist nicht immer leicht. Da kann man schnell auch in ein Eck gedrängt werden. Wie ging es Ihnen damit?
Bei der Kollegenschaft bin ich, glaube ich, ein großes Fragezeichen. Man weiß nicht, in welche Schublade man mich stecken soll. Die Frau trägt ein Kopftuch, gehört nicht in die einseitige Ecke von Schönheit. Und redet über Sex.
Wieso glauben Sie, dass das viele verwirrt?
Wir haben Vorurteile, von denen wir glauben, dass es Vorwissen ist. Oder machen Erfahrungen, von denen wir unsere Meinungen ableiten. Und wir haben dann auch diese Meinungen von bestimmten Kulturen und Menschen. Und dann kommt jemand und ist genau das Gegenteil, von dem, was wir glauben zu wissen. Das ist das eine. Und das andere, dass viele glauben, dass ihre Erfahrungen besser sind als die der anderen. Alle anderen machen es quasi falsch. Und so eine Überlegenheit empfinden westliche Kulturen schon. Aber selbst in diesen Kulturen ist die weibliche Lust noch ein Tabu. Deshalb ist es dann schon eigenartig, dass ausgerechnet eine sichtbare Muslima so offen darüber sprechen kann.
Wie könnte man dieses Tabu brechen?
Im Islam ist Sex eigentlich etwas ganz Normales. Wenn man sich damit beschäftigt, weiß man das. Aber muslimische Ländern sind hier vor allem von einer patriarchalen Struktur geprägt. In wesentlichen Ländern ist es wieder anders. Da sind wir überstimuliert. Man wird zwar überall mit nackter Haut konfrontiert, aber das heißt nicht, dass über diese Themen auch offen gesprochen wird. Es entsteht der Eindruck, man ist eh so frei und offen, wenn man überall nackte Haut sieht. Aber wenn es um die eigene Lust, den eigenen Körper, die sexuellen Wünsche und deren Auslebung geht, ist man noch nicht so weit. Da brauchen wir einen Umbruch.
Ein anderes Tabu oder besser gesagt Mythos, ist das der Jungfräulichkeit.
Das ist extrem verbreitet in muslimischen Communitys und auch immer mit der Religion verlinkt. Dabei steht im Koran nicht eine Silbe über das Hymen. Dennoch wurden Frauen meiner Generation davon geschädigt. Wir haben ständig zu hören bekommen, wie wichtig das ist. Ich kenne das von Ägypten-Urlauben. Wenn jemand geheiratet hat, war das immer total ein Thema. Wie auch darüber gesprochen wurde, das war in manchen Fällen schon traumatisierend. Da war ich schon froh über meine Eltern, die keinen Wert darauf gelegt haben. Und dass mein Wert als Mensch nicht zwischen meinen Beinen lag.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurden Sie wahrscheinlich mit dem Artikel über das Burkinitragen in einem Wiener Schwimmbad bekannt. Das ist acht Jahre her und der Burkini wird Österreich noch immer diskutiert. Was denken Sie darüber?
Es ist ein Armutszeugnis für Österreich. Es kann nicht sein, dass in einem Land, wo Menschenrechte und Religionsfreiheit so hochgepriesen werden, sich Menschen bei 36 Grad nicht trauen, im Burkini schwimmen, weil sie Angst haben, blöd angegafft oder angeredet zu werden. Ich habe die letzten vier Jahre in Abu Dhabi gelebt, wo es so gesehen keine Verfassung und Religionsfreiheit gibt. Dennoch war ich an den Stränden meistens die einzige mit Burkini, umgeben von Frauen im Bikini. Und es hat niemanden interessiert.
Sie bezeichnen sich als Feministin. Für manche feministischen Strömungen ist Feminismus und Kopftuchtragen nicht vereinbar. Die Kritik ist, dass man sich durch die Verschleierung erst recht sexualisiert.
Was am Kopftuch ist denn bitte sexy? Es ist ganz im Gegenteil desexualisierend. Solche Aussagen werden meist einfach von Medien übernommen. Denn wie kommen Kopftuchträgerinnen in den Medien vor? Als Sozialhilfebezieherin, oder als Opfer vom bösen Migranten-Mann. Aber kaum jemand kennt den Namen von Marwa El.Sherbini, einer Muslima, die vor elf Jahren von einem deutschen Rechtsextremisten im Gerichtssaal getötet wurde. Das wissen muslimische Menschen. Weil sie betroffen sind. Weil sie Angst haben. Oder wer weiß, dass eine türkische Astrophysikerin eine Galaxie entdeckt hat? Oder eine Boxerin mit Kopftuch aktuelle deutsche Meisterin ist. Wer weiß das schon? Nur Menschen, die verzweifelt nach positiver Repräsentation suchen. Aber die Leute, die sich in ihrem Rassismus bestätigt fühlen wollen, sagen: "Ja, das geht nicht. Kopftuch verträgt sich nicht mit Feminismus. Und Punkt."
Wie kommen Ihre Inhalte eigentlich innerhalb der muslimischen Community an?
Innerhalb der Community kann man kritisieren so viel man will. Wenn jemand quasi von außen kommt, ist es immer bisschen was anderes (lacht). Das ist so eine Art Beschützerinstinkt. Bei mir jetzt ist es so, dass viele Frauen in meiner Community es schätzen, dass ich offen über diese Themen spreche. Dass sie wissen, sie sind nicht alleine damit. Und muslimische Männer, die mir folgen, habe ich, glaube ich, nicht so viele. Das sind vielleicht 20 Prozent. Aber das Feedback, dass ich da bekomme, ist meist positiv. Es gab schon ein, zwei Kommentare wie “Deine Töchter werden mit gespreizten Beinen durch die Welt gehen”. Aber da sage ich dann: “Nein, sie werden mit einem offenen Verstand durch die Welt gehen, wenn sie Sex-Positiv aufwachsen”. Sexuelle Bildung ist auch Präventionsarbeit. Damit Kinder und Jugendliche auch wissen, was okay ist, damit sie wissen, dass sie auch nein sagen und über ihren eigenen Körper bestimmen können. Ich möchte, dass meine Töchter auf ihren eigenen Körper hören und einen Bezug zu ihm haben kann, statt sich mit Scham durch die Welt zu kämpfen.
Da sind wir beim Thema Bildung. Sie sind seit Kurzem bei Teach for Austria dabei. Wie kam es dazu?
Ich wollte zum Schulstart meiner älteren Tochter wieder zurück nach Österreich. Ich war also auf Jobsuche, wollte aber nicht in einer Agentur oder Redaktion arbeiten. Teach For Austria hatte ich schon immer Hinterkopf gehabt. Dass es so ein Projekt gibt, wo man tatsächlich an Brennpunktschulen gehen kann, motiviert und dort den Kids etwas bieten kann. Das fand ich schon immer toll. Teach for austria bietet etwas, dass ich damals auch gern gehabt hätte. Nämlich Lehrer, die in dir nicht nur die Tochter vom Taxifahrer, von der Putzfrau, die Ausländerin, sehen, die wahrscheinlich nur die Hauptschule macht und dann daheim hockt, mit fünf Kindern. Und ich denke mir, das ist nicht nur eine wichtige Sache, sondern eben auch eine, die ich gern mache. Da geht es nicht um Konkurrenz. Da geht es nicht darum, wer die bessere Story hat. Da geht es wirklich nur um die Kids.
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