Nava Ebrahimi oder wie eine Iranerin in Österreich zur Deutschen wurde

Nava Ebrahimi oder wie eine Iranerin in Österreich zur Deutschen wurde
Die Autorin gewann am Sonntag den 45. Bachmann-Preis. Sie beschäftigt sich mit Migration und Fluchterfahrung.

Eine gebürtige Iranerin hat am Sonntag den heurigen Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Nava Ebrahimi setzte sich mit ihrem Text "Der Cousin" im Stechen gegen die Berlinerin Dana Vowinckel durch.

Bei der Bekanntgabe hatte Ebrahimi Tränen in den Augen: "Ich war wirklich überwältigt." Sie hoffe zumindest darauf, dass ihr im Vorjahr erschienenes zweites Buch "Das Paradies meines Nachbarn", "das ein bisschen durch Corona unter die Räder gekommen ist, noch einmal etwas verspätete Aufmerksamkeit bekommt".

Zur Deutschen gemacht

Als Nava Ebrahimi in einem Verlags-Interview vor einigen Jahren nach ihren Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit befragt wurde, antwortete sie überraschend: „Österreich hat mich tatsächlich endgültig zur Deutschen gemacht. Denn es ist so: Sobald ich etwas sage, werde ich als Deutsche qualifiziert - und fertig! (...) In Österreich ist das Markante an mir, dass ich Hochdeutsch spreche. Nicht mein dunkles Haar. Das ist eigentlich schön. Nun darf ich mich allerdings mit den Vorurteilen gegenüber Piefkes, Pardon: Deutschen auseinandersetzen. Eine ganz neue Rolle.“ Möglich, dass der in Klagenfurt verliehene Ingeborg-Bachmann-Preis einen Teil dieser Vorurteile abbauen helfen wird. Denn auf „ihre“ Dichterinnen und Dichter sind die Österreicher meist ja doch stolz - auch, wenn sie es nicht immer zugeben würden...

Nava Ebrahimi oder wie eine Iranerin in Österreich zur Deutschen wurde

Die Jury beim Bachmannpreis tagt. Am Bildschirm: Nava Ebrahimi.

Seit 2012 in Graz

Nava Ebrahimi wurde 1978 in Teheran geboren, seit 2012 lebt sie in Graz. 2017 wurde sie für ihren Roman „Sechzehn Wörter“ beim Österreichischen Buchpreis mit dem Debütpreis ausgezeichnet, 2020 veröffentlichte sie ihren zweiten Roman, „Das Paradies meines Nachbarn“. 2021 wird sie mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Eine durchaus steile Karriere.

Fluchterfahrung mit drei Jahren

Im Alter von drei Jahren kam Nava Ebrahimi mit ihren vor dem radikalislamischen Regime im Iran flüchtenden Eltern nach Köln. Ihre gesamte Schullaufbahn absolvierte sie in Deutschland, oft als einzige Ausländerin in der Klasse. Sie studierte Volkswirtschaftslehre und Journalismus an der Universität Köln und arbeitete danach unter anderem als Redakteurin bei der „Financial Times Deutschland“ und der Kölner „StadtRevue“ sowie als Nahostreferentin für die deutsche Außenwirtschaftsförderung.

"Sechzehn Wörter" erhielt den Buchpreis 2017

2017 veröffentlicht Nava Ebrahimi ihren ersten Roman „Sechzehn Wörter“, „einen klug komponierten und sprachbewussten literarischen Beitrag über Identität, Herkunft und den Zusammenprall unterschiedlicher kultureller Welten“, so der damalige Kulturminister Thomas Drozda, der ihr im Rahmen der Verleihung des Österreichischen Buchpreises 2017 den Debütpreis verlieh. Es geht in dem Buch um eine Iranerin, die nach dem Tod ihrer Großmutter in ihr Geburtsland zurückfährt. Die Reise in die bei einem Erdbeben zerstörte, uralte Stadt Bam wird zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein, der vermeintlich vertrauten alten Heimat und bisherigen Lebensgewissheiten. 2019 gab es dafür auch den steirischen Morgenstern-Preis. „Schreiben ist für mich der Weg, mit den Widersprüchen, mit den Ambivalenzen und Ambiguitäten des Lebens fertig zu werden. Einzig Kunst und in meinem Fall Literatur kann meiner Meinung nach der Komplexität, der Vielschichtigkeit der Dinge gerecht werden“, sagte Ebrahimi damals in ihrer Dankesrede.

Designstudio mit Kriegstrauma

2020 folgte „Das Paradies meines Nachbarn“, ein Roman, der aus der hochglanzpolierten Gegenwart eines international erfolgreichen Designstudios in die düstere Vergangenheit des iranisch-irakischen Kriegs zurückführt. Kurz nach dem Erscheinen kam der Lockdown. „Das war ziemlich schrecklich, denn ich wäre mit meinem Buch zwei Monate auf Tour gewesen. Ich hatte drei Jahre daran gearbeitet und mich sehr darauf gefreut, vielen Menschen mein Buch vorstellen zu können. Und plötzlich wurde ich unsichtbar. Ich war mit zwei kleinen Jungs zu Hause eingesperrt. Das war erst einmal ziemlich herausfordernd“, erinnerte sich Ebrahimi, die hofft, dass mit dem Bachmann-Preis nun ihr Buch „noch einmal etwas verspätete Aufmerksamkeit bekommt“.

Neuerscheinung im August

Ihr im August erscheinendes nächstes Buch heißt „Einander“ und hat weder mit ihren ersten beiden Romanen noch mit dem Bachmann-Preis etwas zu tun. „Das ist ein Ausfüll- und Lesebuch mit Fragen und Kurzprosa zum Verschenken - an Eltern, Großeltern, Kinder, Tanten, Geschwister. Ich habe es mit der befreundeten Grafikerin und Illustratorin Sabine Presslauer als Wendebuch konzipiert, also mit zwei Anfängen: Gedacht ist, dass man gemeinsam die Fragen beantwortet und gemeinsam die Texte liest, die alle im engeren oder weiteren Sinne Familie thematisieren - sowohl die schöneren als auch die schwierigeren Seiten“, erzählt Ebrahimi.

 

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