Juror Philipp Tingler lobte den Text als Wiederentdeckung der Gesellschaftsprosa. Mara Delius pflichtete bei: „Ein Beispiel dafür, wie gut ein Text sein kann, der nichts anderes will als zu erzählen.“ Brigitte Schwens-Harrant fand den Schlusssatz – „Ich habe solche Lust zu tanzen“ – grandios und fühlte sich gut unterhalten.
Spießig
Insa Wilke widersprach entschieden: Der Text stehe nicht auf der Höhe seiner Radikalität (was immer das bedeutet), er sei „völlig spießig“.
Klaus Kastberger antwortete darauf sarkastisch: „Ich habe mir gedacht, wie muss ein Kritiker ausschauen, der diesen Text nicht charmant findet, mittlerweile weiß ich es – wie Insa Wilke.“ Vea Kaiser war überraschenderweise begeistert (sie hatte den Autor eingeladen) und sah eine „Darstellung der männlichen Selbstüberhöhung“. Michael Wiederstein: „Leander Steinkopf ist einfach ein fantastischer Erzähler.“
Und auf diesem erfreulichen Niveau ging es weiter. Anna Pritzkau aus Berlin las auf Einladung von Philipp Tingler eine packende Geschichte über eine junge Frau mit Migrationshintergrund, die nach einem Suizidversuch in einer psychiatrischen Klinik lebt und einen imaginären Vogel hat.
Klaus Kastberger nannte den Text „opernhaft“ und „auf eine zu große Bühne gestellt“. Mara Delius witterte hier ein Beispiel für „neusachlichen Stil mit surrealistischen Elementen“ (diese Formulierung kann man sicher noch brauchen auf dem weiteren Lebensweg).
Brigitte Schwens-Harrant fand „zu viele Adjektive“ in dem Text. Insa Wilke stieß sich an der „Rhythmisierung“. Vea Kaiser fand den Text großartig und nannte die Autorin „eine ganz große Meisterin der Kurzgeschichte“.
Klebrige Zeit
Ein Heimspiel hatte die dritte Autorin des Tages: Verena Gotthardt stammt aus Klagenfurt. Ihre Geschichte ist eine in raunendem, an Verben armen Stil abgefasste Meditation über das Vergehen der Zeit. Zitat: „Ungemütlich und ehrlich scheint die Zeit an den Fingern zu kleben.“
Michael Wiederstein sah „ein Stillleben“ sowie ein „Panoptikum einer Familiengeschichte, wo Vergangenes dem Heute die Hand reicht“. Mara Delius, sie hatte die Autorin eingeladen, sprach vom Versuch, „das Vergehen der Zeit in Sprache zu bringen“. Klaus Kastberger sprach den Stil an: „Der Text hält seine Form radikal bis zur absoluten Qual des Lesers durch.“
Nach der Mittagspause kam auf Einladung von Philipp Tingler der Schweizer Lukas Meisel mit einer lakonisch-komischen Geschichte über das Ende einer flüchtigen Tinder-Beziehung.
Mara Delius sah ein „Kurzporträt des Liebeslebens einer postmodernen Generation“. Vea Kaiser nannte den Text „wahnsinnig großartig“. Insa Wilke wieder las die Geschichte als „Text über das Erzählen“ – „boy meets girl“. Brigitte Schwens-Harrant fand den Text „überkonstruiert“.
Klaus Kastberger berichtete von „quälender Langeweile“ (schon zum zweiten Mal verspürt er Qual!). Michael Wiederstein fand den Beitrag „bieder“ und sah „ultimative Männerklischees“.
Den Abschluss machte der Grazer Autor Fritz Krenn, eingeladen von Klaus Kastberger.mit einer skurrilen Geschichte, in der Literatur mit einem Hund kollidiert (inklusive Erinnerungen an den Tod Ferdinand Raimunds).
Insa Wilka nannte das den „sorglosesten Text des Tages“, verglich die Lesung mit Jazz und sah eine „virtuose Literaturbetriebs-Etüde“. Brigitte Schwens-Harrant lobte „die Lebendigkeit des Vortrags“. Michael Wiederstein hat sich „köstlich amüsiert“: „Das Salon-Lesungs-Milieu wird mit großer Liebe der Lächerlichkeit preisgegeben.“ Vea Kaiser fand die Lesung „grandios“ – „das ist aber auch das Einzige, was ich Positives über den Text sagen kann.“ Sie ortete „handwerkliche Mängel“.
Leiberl-Duell
Hochinteressant auch am zweiten Tag: Das Mode-Duell zwischen Klaus Kastberger und Philipp Tingler. Kastberger trug ein Alf-Poier-Leiberl („Muku-Muku“), Tingler ein Shirt der nur noch Insidern bekannten japanischen Punkband Shonen Knife.
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