Loslassen, um anzukommen

Loslassen, um anzukommen
Inside Flow Yoga. Die Kunst zwischen Musik, Bewegung und Emotionen.

Es ist elf Uhr vormittags. Sieben Frauen und ein Mann nehmen die Stellung des Kindes ein. Sie warten, die Arme nach vorne ausgestreckt. Dann kommen die ersten Klänge aus dem kleinen grünen MP3-Player, der auf einigen Yogablöcken steht. „Mach die Kuh, atme ein, Katze, atme aus“, gibt Christa Reidinger vor und klatscht mit den Händen im Takt. „Herabschauender Hund – atme aus, zwei, drei, heb dein rechtes Bein hoch – zwei, drei, Sprinter – atme aus, zwei, drei, Krieger 3 – atme ein, zwei, drei …“

Was für Außenstehende wie eine Geheimsprache klingt, sind Asanas. Wir befinden uns in einer Yogastunde,in einer Inside-Flow-Yoga-Stunde genauer gesagt. „Es handelt sich um eine moderne Form des Yogas“, erklärt die Lehrerin, Christa Reidinger. „Dabei werden die Asanas, also die verschiedenen klassischen Yogapositionen, im Takt zur Musik ausgeführt.“

Alles im Fluss.

Mittlerweile sind im Yogastudio 20 Minuten vergangen. Ein anderer Song läuft, der Takt ist ein wenig schneller. Die Teilnehmer bewegen sich synchron, nach der Ansage von der Yogalehrerin folgt ein Asana dem nächsten.

Plötzlich bricht Gelächter aus. Zwei Frauen schauen sich an, dabei sollten beide zur Wand gedreht sein. „Das passiert immer wieder, dass es bei den Übergängen hakt“, sagt Christa Reidinger. „Es liegt an mir, den Teilnehmern die Abfolge genau anzusagen, damit sich am Ende ein Flow ergibt.“

Auch andere Yogaarten hängen Asanas aneinander. Es geht bei Inside Flow Yoga aber nicht nur darum, sondern um weit mehr. Es geht – wie der Name schon verrät – um einen Flow. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Psychologie. Geprägt wurde er vom Ungarn Mihály Csíkszentmihályi , der damit den mentalen Zustand völliger Vertiefung, das totale Aufgehen in einer Tätigkeit – und das daraus resultierende Glücksgefühl – beschrieb.

Beobachtet man Kinder, die malen oder basteln, dann sieht man, dass sie ganz bei sich sind. Das kann und will Inside Flow Yoga auch erzielen.

Erreicht wird dieses Ziel durch die fließende Abfolge von Asanas, wobei der Takt der Musik vorgibt, wann ein- und ausgeatmet und welche Körperbewegung wie lange gehalten wird. So entsteht ein dynamischer Fluss, der erlaubt, alle Gedanken und den Alltagsstress beiseitezuschieben.

„Es gibt mehrere Yogaarten, wobei bei diesen die Musik nur eine Begleitung im Hintergrund ist“, fasst Christa Reidinger zusammen. „Die Teilnehmer bewegen sich somit auch nicht im Takt zur Musik. Zudem stimmen die Asanas nicht mit dem Text der Musik oder mit dem Gefühl, das die Musik vermitteln soll, überein.“

Es geht bei Yoga darum, dass man die Gedanken still werden lässt. Musik hilft dabei." So begründet Teilnehmerin Claudia, was sie an Inside Flow Yoga mag. 

Kein Anfang, kein Ende.

Entwickelt wurde Inside Flow Yoga vom in Korea geborenen Frankfurter Yogalehrer Young Ho Kim. Er wollte es schaffen, Yoga mit moderner Musik in Einklang zu bringen, eine Stunde im Fluss, ohne Anfang und ohne Ende zu schaffen. „Die Musik hat eine gewisse Struktur und diese Struktur kann das Tempo der Atmung und somit auch der Bewegung beeinflussen“, erklärt Young Ho Kim. „Die ersten vier Beats sind zum Einatmen da und die folgenden vier Beats zum Ausatmen. Beim Einatmen wird eine expandierende Bewegung ausgeführt und beim Ausatmen wird eine sich zentrierende Bewegung ausgeführt. Dadurch wird die Pulsation verkörpert und die Atmung unterstützt.“

Loslassen, um anzukommen

Halbzeit in der Yogastunde.

Mittlerweile haben die acht Teilnehmer die meisten Passagen des Flow unabhängig voneinander durchgemacht. Auch das ist ein Merkmal von Inside Flow Yoga. Die Sequenzen werden erst ganz am Ende der Stunde zusammengesetzt – und erst dann kommt das Musikstück, das der Yogalehrer eigentlich für den Flow ausgesucht hat, zum Einsatz.

„Das ist immer ein Überraschungsmoment für die Teilnehmer“, sagt Christa Reidinger. Daher kommen der Auswahl der Musik und der Abfolge der Asanas auch eine große Bedeutung zu. „Es sind immer Songs, die mich sehr berühren, aber sie müssen vom Takt und der Schnelligkeit für Inside Flow Yoga geeignet sein“, betont die Lehrerin.

„Bei Yoga ist es die höchste Kunst, sich auch in emotionaler Berührung ganz gleichmäßig zu bewegen, Gleichmut zu wahren – was nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln ist. Und das ist das Spannende, dass das bei Inside Flow Yoga trotz Musik gelingt.“ Denn im Gegensatz zum Tanz bleiben die einzelnen Bewegungen auch bei expressiven Passagen des Songs konstant, im Fluss.

Das ist es auch, was den Teilnehmern auffällt und gefällt. „Durch Unterstützung der Musik kann ich meinen ganzen Körper fließen lassen“, sagt etwa Claudia. Und der einzige männliche Teilnehmer, Andi, ergänzt: „Beim Inside Flow Yoga verharrt man nicht in einer Position, sondern bleibt immer in Bewegung. Das war für mich etwas ganz Neues.“

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Sich wirklich öffnen.

Und so kommen wir zum letzten Punkt, der Inside Flow von anderen Yogapraktiken unterscheidet. Im „Flow zu sein“ bedeutet schließlich, sich zu öffnen, bei sich zu sein. „Yoga bedeutet Joch, es will also eine Verbindung schaffen zwischen Atem und Bewegung“, so Christa Reidinger. „Bei Inside Flow Yoga kommt Musik als verbindendes Element und damit die Emotion dazu und es ist gesund, mit sich selber in Kontakt zu treten, Gefühle zuzulassen, sich zu spüren. Darin sind viele Menschen nicht mehr gut. Da hakt Inside Flow Yoga ein, obwohl es nicht als Therapie zu verstehen ist.“

Ende der Yogastunde.

Christa Reidinger und die Teilnehmer setzen sich gemütlich auf ihre Matten. „Als ich dieses Lied gehört habe, wurde mir bewusst, wie privilegiert ich bin, weil ich mit meiner Familie einen Ort habe, an den ich zurückkommen kann, was auch immer passiert“, erzählt Christa Reidinger. „Daher widmen wir alle diesen Flow jemandem oder einem Ort, zu dem wir zurückkehren werden.“

Sie drückt den Knopf des grünen MP3-Players. Die erste Zeile des Liedes „Running“ von James Bay erklingt: „When my heart is ready to burst,when the world spins in reverse, I'll keep running to the place where I belong …“ Im Einklang zum Takt hängen die Teilnehmer die Asanas zu einen Flow zusammen – selbst als Zuschauer kann man diesen besonderen Moment mit Händen greifen. In diesem Sinne: Namasté.

PS: Inside Flow Yoga ist für alle geeignet, die die gängigen Asanas beherrschen.

Christa Reidinger: sonneyogasterne.at

Priska Waißenbacher: carpepunctum.at 

Birgit Fruhmann: surya.at

Nicki Vellick: yoga-life.at

Die Yogamatte: dieyogamatte.at

 

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