Zwei Drittel warten auf Entdeckung

Zwei Drittel warten auf Entdeckung
Unzählige Lebewesen besiedeln die Ozeane. Beschrieben sind nur 226.000 Arten.

Wer im Museum sitzt und Paläontologe ist, wird kaum neue Arten entdecken, möchte man meinen. Weit gefehlt, zeigt das Beispiel von Andreas Kroh vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM). Der Forscher erstand 2006 von philippinischen Fischern Seeigel für seine Sammlung im NHM. „Bei der Untersuchung stellten wir fest, dass ein bisher unbekannter Schlangenstern auf dem Seeigel lebte“, erzählt Kroh und sorgte dafür, dass seine Entdeckung ins World Register of Marine Species (WoRMS) aufgenommen wurde.

Bestandsaufnahme

Der Wiener Paläontologe und Seeigel-Experte ist nämlich einer von 270 Wissenschaftlern aus aller Welt, die seit Jahren an dieser Bestandsaufnahme des marinen Lebens arbeiten. Im Wissenschaftsmagazin Current Biology zogen die Forscher jetzt Bilanz: Bis zu zwei Drittel aller Meeresbewohner – knapp eine Million – warten noch auf ihre Entdeckung. Nur 226.000 sind bisher beschrieben, viele davon erst in den vergangenen Jahrzehnten.

„Zum ersten Mal haben wir einen detaillierten Überblick über die Artenvielfalt aller großen Gruppen von Meeresbewohnern“, sagt Studienautor Ward Appeltans. Das World Register of Marine Species spiegle den heutigen Stand des Wissens wider – und zeige, wie viel man über das Leben in den Ozeanen nicht wisse.

Zellkernlose Einzeller wie Bakterien und Archaeen habe man bei der Bestandsaufnahme ausgenommen. Die Auswertung der Literatur ergab, dass von den etwa 400.000 Arten-Namen 40 Prozent Synonyme waren – Dopplungen, weil für die selbe Art irrtümlich mehrere Namen vergeben worden waren.

Zwei Drittel warten auf Entdeckung
„Früher herrschte viel weniger Kommunikation zwischen den Forschern“, sagt Kroh. „Und da konnte es schon vorkommen, dass der eine nicht wusste, dass der andere das Tier bereits entdeckt und beschrieben hatte. Bestes Beispiel: Wale. Hier kamen die Wissenschaftler auf nicht weniger als 1271 Namen für nur 87 real existierende Arten.

Sogar die wahrscheinliche Gesamtzahl der Meeresbewohner konnten die WoRMS-Forscher ermitteln: 704.000 bis 972.000. Wie sie darauf kommen? Aus der Verteilung der bekannten Arten auf die Hauptgruppen des Tier- und Pflanzenreichs und aus der Rate der Neubeschreibungen rechneten die Wissenschaftler mithilfe eines statistischen Modells hoch, wie viele Arten es wahrscheinlich noch in den Ozeanen gibt. „Die meisten bisherigen Schätzungen beruhten auf Umfragen unter Experten, ein globales Register gab es nicht“, berichten die WoRMS-Forscher. Daher lagen die Schätzungen weit auseinander, viele seien zu hoch ausgefallen.

Übrigens nimmt die Rate der Neuentdeckungen unter den marinen Arten momentan deutlich zu. Jedes Jahr werden an die 2000 neue Spezies beschrieben. „Die letzte Dekade war die produktivste Phase“, schreiben Appeltans und seine Kollegen. Hält der Trend an, könnten in den nächsten 50 Jahren weitere 100.000 Spezies beschrieben werden.

Bei den großen Meeressäugern und Krebsen sind nicht mehr viele Entdeckungen zu erwarten, bei anderen Organismengruppen wie den Meerasseln, Schnecken, Fadenwürmern und Kleinkrebsen dagegen sind bisher kaum mehr als 20 Prozent bestimmt.

Bis zum Ende des Jahrhunderts hoffen die Forscher, dass 95 Prozent aller maritimer Arten gefunden sind.

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