Zentralmatura: Mathe als größte Baustelle

Zentralmatura: Mathe als größte Baustelle
Für Schüler, Eltern und Lehrer kommt die Zentralmatura zu früh. Das Ministerium besteht auf den Beginn 2013/2014.

Wir haben einen Sorgenbrief an die Unterrichtsministerin geschickt. Die Zentralmatura verunsichert uns alle sehr, weil keiner genau weiß, was auf uns zukommt", berichten Schüler der AHS Schopenhauerstraße (Wien).

Bereits 2014 sollen die AHS-Schüler in den Fächern Deutsch, Mathematik und lebende Fremdsprachen zentral geprüft werden. Es betrifft also alle, die jetzt in der 6. Klasse sitzen. "Das geht zu schnell. Besonders in Mathematik. Wir wollen, dass die Zentralmatura in diesem Fach um zwei bis drei Jahre verschoben wird", fordern die Vertreter der drei Schulpartner Schüler, Eltern und Lehrer. "Anders als in Englisch gibt es in Mathe noch keine Schulversuche, argumentiert Elternvertreter Theodor Saverschel.

Eckehard Quin (Lehrergewerkschafter wirft dem Bildungsministerium vor, "dass es keine klaren Vorgaben macht. Es gibt weder einen Lehrplan, noch geeignete Schulbücher. Auch rechtlich ist vieles noch nicht geregelt." So werde die Zentralmatura zweigeteilt - ein Teil muss ohne Taschenrechner gelöst werden. "Noch ist es verboten, Schularbeiten zweizuteilen. Wie sollen wir da Schüler auf die Matura vorbereiten?"

Im Netz

Im Ministerium weist man die Vorwürfe zurück. "Es gibt bereits genügend kompetenzorientierte Schulbücher. Zudem stellt das Bifie, das die Zentralmatura vorbereitet, genügend Beispiele im Internet zur Verfügung. Die Hochschulen bieten Fortbildungskurse an." Doch auch bei den Schulbuchverlagen gibt es viele Fragezeichen: "Die Grundkompetenzen, die das Bifie vorläufig vorgibt, arbeiten alle Schulbuchautoren mit ein", sagt eine Insiderin dem KURIER. "Was in der Zentralmatura kommt, wissen wir noch nicht. Wir warten auf die Verordnung des Ministeriums."

Doch warum die Eile des Ministeriums? Warum kann man nicht die Matura nur in den Fremdsprachen zentral machen und in Mathe noch zuwarten? "Da spielt sicher die Sorge mit, dass das Projekt so lange verschoben wird, bis es einschläft", vermutet Bildungsexpertin Christa Könne, pensionierte AHS-Direktorin und Lehrerin für Chemie, Physik und Mathematik.

Im Prinzip befürworten viele Lehrer die Zentralmatura. "Neu sind die Aufgabenstellungen. Mathe muss verstanden werden. Bisher reichte es, Schemata auswendig zu lernen", sagt eine junge Mathelehrerin. "Aber gerade weil wir da einen Paradigmenwechsel erleben, würde ich mir mehr Zeit für die Vorbereitung wünschen."

Auch für Könne ist vieles noch nicht ausgereift: "So hängt es von der Schulform ab, wie viele Stunden Mathe ich habe. Es kann ja nicht sein, dass es für alle die gleichen Prüfungen gibt."

Könne empfiehlt zudem, "die Lehrer unbedingt mit ins Boot zu holen. Wenn die nicht wollen, gelingt die Matura Neu nicht", prophezeit sie. Deshalb gelte es, "den Professoren die Angst zu nehmen. Schließlich sind die Maturaergebnisse der Schüler auch ein Hinweis darauf, ob sie ihr Fach unterrichten können." Damit die Schüler Mathematik verstehen, müsse Schule aber anders strukturiert sein. "Derzeit sind AHS-Lehrer Einzelkämpfer und arbeiten autonom. Das muss sich ändern. Wir brauchen Teamarbeit und neue Lernmethoden."

Kaninchen

Die Schüler fürchten jedenfalls, dass sie auf die Matura nicht ausreichend vorbereitet werden. "Es gibt keinen Testlauf in Mathe. Wenn es schiefgeht, müssen wir Schüler das ausbaden. Wir wollen aber keine Versuchskaninchen sein", fordert Bundesschulsprecherin Conny Kolmann.

PRO & CONTRA: Muss ein Maturant Mathematik verstehen?
Stoff in sich hineinstopfen, ihn ausspucken und dann sofort wieder vergessen. Die "Bulimie des Lernens" ist gerade im Fach Mathematik eine weit verbreitete Krankheit. Schüler lernen eine Formel auswendig, wenden sie nach Schema F an, verstehen sie aber nicht. Die Folge: Selbst Studenten der Natur- oder Ingenieurswissenschaften können oft einfache Aufgaben nicht lösen, beklagen Universitätsprofessoren. Was haben jungen Menschen, die sich offensichtlich nicht vor Zahlen fürchten, all die Jahre im Mathematikunterricht gemacht?
Ein Fach, das so unterrichtet wird, kann man sofort aus dem Lehrplan streichen. Denn Stoff, den ich bereits zwei Tage nach der Matura vergessen habe, ist unnütz. Die dafür verwendete Lernzeit ist Verschwendung wertvoller Lebenszeit. Wenn also Mathematik, dann nur so, dass ich es verstehe und Jahre später noch anwenden kann. Keine leichte Aufgabe für Lehrer. Auch am Lehrplan muss sich etwas ändern: Weniger Stoff, der aber muss dafür wirklich beherrscht werden. (U. Brühl)

M athematik ist ein Standbein der Allgemeinbildung. Das sollte so bleiben. Doch in welcher Form? Wie kaum bei einem anderen Fach spielt hier das Thema Begabung eine Rolle. Es gibt Menschen, die sich ein Schülerleben lang mit mathematischen Verständnisproblemen herumschlagen müssen. Das aktuelle Schulsystem geht kaum darauf ein - die Folge für die Betroffenen sind oft dramatisch. Ihre gesamte "Lern-Energie" wird durch die verzweifelten Versuche, komplexe Kurvendiskussionen zu kapieren, verschlungen. Das - leider - zulasten anderer Talente.
Verständnis lässt sich nicht erzwingen - folglich halte ich es für eine heikle Entwicklung, die Mathe-Matura darauf auszurichten. Für Menschen wie mich, die sie nur durch verbissenes Auswendiglernen bestehen konnten, wäre das eine Katastrophe gewesen. Außerdem: Nichts davon habe ich für mein Leben gebraucht. Was aber geschehen muss: Mathe-Unterricht so zu gestalten, dass auch die Schwächeren eine Chance haben. (G. Kuhn)

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